12.02.2023 / Gottesbilder

Gott, das Chamäleon

Mal verfügt Gott über das Leben Tausender, dann wendet er sich liebevoll Einzelnen zu. Wie wechselhaft ist Gott eigentlich?

Was ist nur mit Gott los? Mal ist er in Jesus von menschlichem Leid geradezu überwältigt und schafft liebevoll Abhilfe (Matthäus 14,14), ein anderes Mal scheint er sich völlig von Menschen abzuwenden (Psalm 69,18). Mal lässt er 42 Kinder von Bären zerreißen (2. Könige 2,24), mal macht er den einzigen Sohn einer Witwe wieder lebendig (Lukas 7,11-17). Mal spricht er sich für völlige Gewaltlosigkeit aus (Matthäus 5,38), mal metzelt der Engel des Herrn 185.000 Soldaten der assyrischen Armee in nur einer Nacht nieder (2. Könige 19,35).

Es erzähle mir keiner, damit hätten Menschen, die mit Gott leben, kein Problem. Einige meiner Bekannten und ich selbst stehen immer wieder bedrückt vor diesen grausamen Berichten und diesem so wechselhaften Gott. Wir fragen uns: An was für einen Gott glauben wir da? Auch biblische Autoren verzweifeln immer wieder an Gott und bekommen sein Handeln nicht immer auf die Reihe. Asaf schreibt im 77. Psalm: „Darunter leide ich, dass die rechte Hand des Höchsten sich so ändern kann" (Vers 11) – und scheint an der Frage, warum Gott sich nicht zeigt, zu verzweifeln.

Ich erschrecke trotzdem

Dabei kenne ich die Argumente, die helfen, diese dunklen Passagen der Bibel einzuordnen. Ich weiß, wie grausam manche Nachbarvölker waren und dass es gut war, ihrem barbarischen Handwerk ein Ende zu bereiten. Ich weiß, wie unerträglich viel Geduld Gott ihrer Unmenschlichkeit entgegenbrachte und wie oft er sie zur Umkehr aufrief.

Ich weiß, was ein Bann bedeutet und dass ein gerechter Gott strafen muss. Ich gestehe es dem souveränen Schöpfer zu, über das Leben verfügen zu dürfen. Trotzdem erschrecke ich immer und immer wieder darüber, wie Gott über genau dieses Leben bestimmt, das er angeblich so liebt. Wie passt das zusammen?

Ist Gott manisch-depressiv?

Für Skeptiker sind die grausamen Texte der Bibel ohnehin große Stolpersteine und gewichtige Gründe dafür, nicht zu glauben. Ein Gott, der Kinder und ganze Völker abschlachten lässt? Nein danke! Ein paar Bibelstellen, die einen gnädigen Gott zeigen, helfen da auch nicht weiter. Es passt irgendwie nicht. Folglich bescheinigen die einen Gott eine handfeste manisch-depressive Störung. Die anderen schließen sich der weitverbreiteten Meinung an, das Alte Testament präsentiere einen Gott der Rache, das Neue Testament hingegen einen Gott der Liebe. Und tatsächlich: Bei den zu Anfang genannten Bibeltexten geht diese Rechnung auf.

Es ist aber hinlänglich bekannt, dass das Neue Testament ebenso seine Schattenseiten hat. Es ist schrecklich, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen, schreibt der Autor des Hebräerbriefs (Hebräer 10,31). Im Gleichnis von den anvertrauten Pfunden präsentiert sich Jesus selbst als König, der seine Feinde niedermachen lässt (Lukas 19,27). Hingegen lesen wir von der Nächstenliebe schon im dritten Mosebuch (3. Mose 19,18). Und Psalm 145 besingt die Güte und Gnade Gottes in mehreren Variationen.

Ein Chamäleon, das seine Farbe behält

Zudem werden die Autoren der Bibel nicht müde zu betonen, dass sich Gott nicht ändert. Maleachi schreibt: „Ich, der Herr, wandle mich nicht!" (Maleachi 3,6). „Bei Gott ist keine Veränderung noch Wechsel des Lichts und der Finsternis.", betont Jakobus im ersten Kapitel seines Briefes (Jakobus 1,17). Auch Jesus kam nicht, um das Gesetz oder die Propheten aufzulösen. Kein Jota des Gesetzes, kein i-Tüpfelchen des Willens Gottes wird vergehen (Matthäus 5,17-19). Auf diesen Gott ist Verlass. Er hält, was er verspricht.

Wie also umgehen mit diesem so wandelbaren und, nach eigenen Angaben, doch unveränderlichen Gott? Der wie ein Chamäleon scheint und doch seine Farbe behält?

Zuerst: Es ist auch von Vorteil, dass sich Gott nicht festlegen lässt. Kein Mensch wird ihn jemals fassen können, niemand wird ihm habhaft werden und sagen können: Ich kenne Gott in allen Facetten seines Wesens und weiß, wie er handeln wird. Natürlich hat sich Gott geoffenbart. Seine Offenbarung bleibt jedoch unrund und unbequem. Gott bleibt ganz anders. Keine Vorstellung, kein Gottesbild wird ihm jemals ganz gerecht werden. Gut so. Schließlich ist er Gott und wir sind Menschen.

Ein erster Ankerpunkt

Zweitens scheint mir an dieser Stelle auch die bereits von Augustin eingeführte Grundregel zur Auslegung biblischer Texte hilfreich zu sein:

Unklare Bibeltexte sind von den klaren her zu verstehen und auszulegen. Nicht umgekehrt. Entsprechend sollten die Passagen der Bibel, die ein klares Bild von Gott zeichnen, diejenigen erklären, die Dinge im Dunkeln lassen.

Und am klarsten hat sich Gott in Jesus Christus geoffenbart. Menschlich, greifbar, nahbar und zugewandt. Aber auch gerecht, ehrlich und unbestechlich. „Mein Herr und mein Gott!“, sagte schon Thomas, der Zweifler, zum auferstandenen Jesus (Johannes 20, 28).

Das beantwortet nicht die Frage, warum Gott ganze Völker samt Kindern und Tieren auslöschen lässt. Diese Sichtweise bietet aber einen ersten Ankerpunkt, um von der unbefriedigenden Vorstellung loszukommen, Gott sei so wandelbar wie ein Chamäleon. Auf dieser Basis kann ich mich den schwierigeren Stellen, dem so ganz anderen Gott wieder zuwenden. Natürlich wird das Bild nicht ganz aufgehen. Es werden Ecken und Kanten übrig bleiben. Trotzdem werde ich auf der Suche nach einem gesunden Gottesbild einen entscheidenden Schritt weiterkommen.

Autor/-in: Joachim Bär

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