23.06.2018 / Wort zum Tag

Gewissheit statt frommer Sicherheit

Der HERR verstößt sein Volk nicht um seines großen Namens willen.

1. Samuel 12,22

Ihr Browser unterstützt HTML5 Audio nicht!

Es gibt in der Bibel Verse, die wir gefährlich missverstehen können, wenn wir sie nur isoliert lesen, ohne den Zusammenhang zu berücksichtigen. Genau das könnte uns auch mit unserm Tageswort passieren. Wie wunderbar hört sich doch der Zuspruch zunächst an, der von Samuel über Israel ausgerufen wird: «Der Herr verstösst sein Volk nicht um seines großen Namens willen.»

Diese Zusage, nur für sich genommen, stärkt das Vertrauen zu einem Gott, der immer und ewig Gnade und Nachsicht walten lässt – egal was passiert und vorgefallen ist. Gott verstößt doch sein Volk nie und nimmer, also ist doch die Zukunft für immer garantiert! So weit, so gut?

Während ich das so sage, merke ich, wie dieser Gedankengang holpert: Dieses Gottesbild führt zu bedenklichen Schlussfolgerungen! Es öffnet Tor und Tür für eine gefährliche Selbstsicherheit und fromme Arroganz. Wie schädlich sich solche falschen Sicherheiten auswirken können, zeigt ja die Geschichte zur Genüge.

Israel ist an dieser frommen Selbstsicherheit mehr als einmal gescheitert. Alle seine Propheten haben das je in ihrer Zeit zu verhindern versucht. So war zum Beispiel der Glaube populär, der Tempel in Jerusalem sei ein Garant dafür, dass Gott sein Volk niemals aufgeben würde. Gott hatte den Berg Zion doch für sich als ewige Wohnung erwählt und «dem Hause David» ein ewiges Königtum verheißen! 

Ja, Gott hatte! Aber was ist, wenn das alles in ein elitäres Selbstbewusstsein umkippt? Wenn man dieser Selbstsicherheit vertraut, ja was passiert dann? Gewöhnlich breiten sich dann religiöser Hochmut und frommer Stolz aus und das Gewissen wird stumpf. Religiöse Selbstsicherheit fördert den Verlust göttlicher Werte und sie fördert den Egoismus.

Der Prophet Jeremia predigte jahrelang vergeblich gegen diesen folgenschweren Missbrauch göttlicher Worte: «Verlasst euch doch nicht auf diese Lügenworte, wenn sie euch sagen: Hier ist doch der Tempel des Herrn, hier ist doch der Tempel des Herrn. Sondern bessert euer Leben und Tun!» Jer. 7,4-5

Dieser gefährlichen Verdrehung göttlicher Zusagen können wir entgehen, wenn wir den Textzusammenhang eines biblischen Verses beachten. Wir tun das mit unserem Tageswort und entdecken, dass es zu einer fulminanten öffentlichen Rede Samuels gehört. Er hielt sie, als er sein Richteramt niederlegte und dieses Mandat Israels erstem König Saul übertrug. Nach der Zusage «Gott verstößt sein Volk nicht um seines grossen Namens willen» appellierte Samuel eindringlich an sein Volk: «Nun fürchtet den Herrn und dienet ihm treu von ganzem Herzen… Werdet ihr aber Unrecht tut, werdet ihr und euer König verloren sein.» Er war also getrieben von der Sorge, Israel könnte Gottes Gnade und Güte verspielen.

Somit ist der Zusammenhang klar:

Gott verstößt sein Volk wirklich nicht um seines Namens willen! Aber diese Zusage darf uns nicht so selbstsicher machen, dass wir es mit der Sünde nicht mehr so genau nehmen. Ich will lieber der Gnade Gottes gewiss sein, als selbstsicher eigene Wege gehen! Ich will in Gottes Wort und Wahrheit bleiben, denken und handeln. – Das ist meine Antwort auf Gottes Treue!

Autor/-in: Pfarrer i. R. Peter W. Henning