05.11.2015 / Wort zum Tag

Gedanken zur Tageslosung

In deine Hände befehle ich meinen Geist; du hast mich erlöst, HERR, du treuer Gott.

Psalm 31,6

Wir werden bei dem Herrn sein allezeit. So tröstet euch mit diesen Worten untereinander.

1. Thessalonicher 4,17–18

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Wir werden bei dem Herrn sein allezeit. 
So tröstet euch mit diesen Worten untereinander.

So schlicht und knapp fasst Paulus hier ein Thema zusammen, das unzählige Christen seitdem bewegt hat und auch immer wieder zu abenteuerlichen Spekulationen geführt hat. Es geht um die Wiederkunft Jesu.

Große Aufregung in Thessalonich, dem heutigen Saloniki:
Die junge Gemeinde hat die ersten Todesfälle zu beklagen und ist ratlos. Damit hatten sie nicht gerechnet, denn alle freuten sich darauf, dass Jesus bald wiederkommt und dem Leid ein Ende macht. Und was ist jetzt mit den Verstorbenen? Haben sie einen Nachteil, verpassen sie jetzt die Wiederkunft des Herrn? Ist die christliche Hoffnung vielleicht doch nur eine Vertröstung?

Paulus antwortet knapp und mutig – und vielleicht auch für uns ein bisschen überraschend. Er argumentiert nicht mit dem heidnischen Modell einer unsterblichen Seele, er sagt auch nichts über einen Zwischenzustand, er erklärt auch nicht, dass die Verstorbenen jetzt schon beim Herrn sind und man sich deshalb keine Sorge um sie machen muss. Auch kein Wort davon, dass man sich im Himmel wiedersieht.

Paulus konzentriert seinen Trost auf den einzigen Gedanken, dass alle  Christen – egal ob bereits gestorben oder noch lebend – dem Herrn bei seiner Wiederkunft gemeinsam entgegengehen. Keiner hat einen Vorteil, keiner einen Nachteil. Das ist alles. Und Paulus beruft sich für diese Sicht (zwei Verse vorher) sogar auf ein „Wort des Herrn“.

Da blitzt schon hier in seinem frühesten Brief etwas durch, das er später im Römerbrief auf die griffige Formel bringt:
Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden,
dass er über Tote und Lebende Herr sei.  (Rö 14,9)

Das also ist die Hauptsache und der wichtigste Trost, wenn er von der Wiederkunft Jesu redet: Wir werden beim Herrn sein. Keine Rede von dem, was uns heute vielleicht inte-ressiert – vom Verbleib der Verstorbenen und ihrem persönlichen Schicksal in der Zwi-schenzeit.

Der Bibelausleger Werner de Boor fasst diesen Gedanken geradezu klassisch zusammen:

Wir blicken hier tief hinein in echt biblisches Denken… Was dem einzelnen kleinen Ich als herrliche Gnade zuteil wird, ist das Dabei-sein dürfen, wenn die großen Dinge Gottes geschehen. Was „inzwischen“ aus dem Ich wird, ist nicht wichtig. Wie völlig verkehrt hat sich das alles bei uns! Gerade nur das einzelne Ich und sein Schicksal über das Grab hinaus ist uns interessant. Die Gemeinde und ihre Vollendung, der Sieg Jesu, die Sache Gottes lässt uns völlig kalt und ist unserem „christlichen“ Blick völlig entschwunden.

Das ist also der wichtigste Trost im Leben und im Sterben: Christen werden einmal gemeinsam und für immer beim Herrn sein. Mehr geht nicht.

Paulus befriedigt nicht unsere Neugier, sondern versetzt uns ins Zentrum der christlichen Hoffnung. Viele unserer Fragen bleiben offen, die Bibel gibt immer nur Andeutungen, und wir sollten nicht versuchen, ein System, daraus zu machen.

Als junger Pastor entdeckte ich auf einem Friedhof ein Kindergrab. Auf dem Grabstein stand der Spruch von Ludwig Uhland:

Du kamst, du gingst mit leiser Spur,
ein flücht’ger Gast im Erdenland.
Woher? Wohin? Wir wissen nur:
Aus Gottes Hand in Gottes Hand.

Ich blieb so lange vor dem Grab stehen, bis ich den Text auswendig konnte. Da ist alles gesagt.

Autor/-in: Pastor Wolfgang Buck