09.11.2010 / Wort zum Tag

Galater 6,3

So aber jemand lässt sich dünken, er sei etwas, so er doch nichts ist, der betrügt sich selbst.

Galater 6,3

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„Ich heiße Werner. Ich fahre Cabrio und wohne in Paris“, so stellte sich mir wörtlich ein junger Mann auf einer Studentenfete vor. „Das ist jetzt nicht wahr, nein? Was ist das denn für einer? Das muss ja ein ganz Wichtiger sein!“, dachte ich mir.

Wer angibt, hat mehr vom Leben. Da schien etwas dran zu sein, denn den ganzen Abend war er von einer Schar Mädchen umringt. Sicher, er sah nicht schlecht aus. Aber so gut kann jemand gar nicht aussehen, als dass ich mir solch eine Angeberei anhören will. Warum prahlt jemand mit dem, was er besitzt? Warum prahlt jemand mit dem, was er erreicht hat, mit dem, was er gut kann? Warum stellen sich manche Menschen derartig in den Mittelpunkt? Warum zelebrieren sie sich?

„Wer angibt, hat's bitter nötig“, sagt eine Redewendung. Und genau das ist es wohl auch. Nötig haben solche Menschen: Anerkennung, Beachtung, Zuwendung. Und weil sie davon zu wenig bekommen – zumindest nach ihrem Empfinden - , darum machen sie sich für andere Menschen interessant: durch besondere Luxusgüter, die sie besitzen, durch besondere Orte an denen sie leben, durch besondere Berufe oder besondere Kontakte, die sie haben. Dadurch hoffen sie, die Aufmerksamkeit der anderen zu bekommen, die ihnen fehlt.

Und wie begegnet man solchen Menschen? „Ignorieren“, sagen die einen. „Ihnen den Spiegel vorhalten und sie bloßstellen“, sagen andere.

In seinem Brief an die Menschen in Galatien sagt der Apostel Paulus, wie er es sich vorstellt. In einer langen Liste führt er auf, welche Versuchungen es bei Menschen gibt. Dazu gehören Neid, Zorn, Zank und viele noch schlimmere Verhaltensweisen der Menschen untereinander. Und dann beschreibt er, wie Menschen sich verhalten, die sich von Jesus prägen lassen: freundlich, liebevoll, geduldig. Wenn jemand einen Fehler bei einem anderen entdeckt, so soll er dem anderen wieder aufhelfen. Einer soll die Last des anderen tragen.

Dem, der sich so übermäßig in den Mittelpunkt stellt, sagt Paulus sinngemäß: „Du baust hier ein Bild von dir auf, das du doch gar nicht bist. Du möchtest andere damit täuschen, aber letzten Endes betrügst du dich selbst mit diesem falschen Bild. Hör auf damit.“ Und dem Mitmenschen sagt Paulus: „Hilf dem anderen, seine Last zu tragen.“ Und er meint damit: „Wenn du spürst, dass die Last des anderen darin liegt, in seinem Leben zu wenig an Liebe und Anerkennung bekommen zu haben, so ist auch das eine Last, die – gemeinsam getragen – leichter wird. Ignorieren und bloßstellen nimmt ihm nicht die Last. Gib ihm deine Liebe, er braucht sie dringend. Schau dabei nicht auf den anderen herab. Sonst wirst du selbst zu jemandem, der sich über andere erhebt.“

Später am Abend kam ich noch mit Werner ins Gespräch. Und da erzählte er mir, dass er sich in Paris oft allein fühlt. Es sei gar nicht so leicht für ihn, mit den Franzosen in Kontakt zu kommen. Es fehlen halt die Freundschaften von früher, die sich über lange Jahre aufgebaut haben. Es tue ihm gut, wieder einmal in Deutschland zu sein ...

Soviel liebenswerter wurde er für mich, als er Mut hatte, von seinen Schwächen zu erzählen. Sein Podest, das er sich gebaut hatte, war zusammengefallen, und es stand ein Mensch mit seinen Stärken und Schwächen vor mir. Wir sind bis heute in Kontakt miteinander geblieben.

Autor/-in: Dorothee Döbler