03.06.2024 / Wort zum Tag

Für Gott gibt es keine Fremdsprachen

Es ist hier kein Unterschied zwischen Juden und Griechen; es ist über alle derselbe Herr, reich für alle, die ihn anrufen.

Römer 10,12

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Seit anderthalb Jahren arbeite ich nun als Pastorin in den Berliner Bezirken Kreuzberg und Neukölln. Und ich liebe es. Diese Vielfalt an Menschen, die dort lebt. Schon in der U-Bahn auf dem Weg zur Arbeit sehe ich so unterschiedliche Gesichter, Hautfarben und Frisuren und höre ich so viele unterschiedliche Sprachen. Eine Mutter spricht mit ihrem Kind ukrainisch. Drei Touristen unterhalten sich auf Finnisch. Ein Afrikaner telefoniert auf Französisch. Zwei junge Männer unterhalten sich auf Arabisch.

Am U-Bahnhof steige ich aus, und oben auf der Straße angekommen, höre ich noch weitere Menschen in wieder anderen Sprachen sprechen. Dazu kommen nun aber auch noch mannigfaltige Düfte aus den zahlreichen Restaurants. In der Sonne leuchten die bunten Früchte auf den Ständen vor dem türkischen Supermarkt, ebenso wie die farbenfrohen Kleider der Berliner Studentinnen, die hier einkaufen.

So viele verschiedene Menschen leben hier auf engstem Raum zusammen. Menschen von ganz unterschiedlicher Herkunft und Hautfarbe. Menschen mit ganz unterschiedlichen Geschichten. Menschen mit ganz verschiedenen Ansichten und Lebensentwürfen. Und ich mittendrin. Es ist sicher nicht alles immer einfach hier, aber ich liebe es.

In meiner Arbeit unter diesen Menschen muss ich mir aber immer eine Sache vor Augen halten: Ich habe ihnen gegenüber nicht etwa einen Vorsprung in meiner Beziehung zu Gott, nur weil ich weiß und in Deutschland groß geworden bin. Daran erinnert mich die Losung der Herrnhuter Brüdergemeine für den heutigen Tag. Im Römerbrief, Kapitel 10, Vers 12 schreibt der Apostel Paulus:

„Es ist hier kein Unterschied zwischen Juden und Griechen; es ist über alle derselbe Herr, reich für alle, die ihn anrufen.“

Juden und Griechen gibt es natürlich auch auf den Neuköllner Straßen, nebst allen anderen Ethnien. Aber so meint es Paulus nicht. Sondern Paulus spricht in seinen Briefen immer wieder davon, dass er als Jude keinen Vorsprung hat vor denen, die keine Juden sind. Es waren ja viele Menschen aus ganz verschiedenen Ethnien ganz neu zur christlichen Gemeinde dazugestoßen. Dass die Juden nun nicht mehr den Zugang zu Gott für sich gepachtet hatten: das war ein total revolutionärer Gedanke.

Egal, welche Hautfarbe ein Mensch hat, egal, woher er kommt, und egal, welche Sprache er spricht: Für jeden Menschen ist der Weg zu Gott genau gleich weit. Gott ist Herr über alle Menschen und jeder Mensch hat dieselbe Möglichkeit, Gott direkt in seiner Sprache anzusprechen. „Gott ist reich für alle, die ihn anrufen“, heißt es im heutigen Vers. Das heißt für mich in meiner Arbeit als Pastorin, dass es nicht darum gehen kann, dass ich Menschen beibringe, wie sie Gott in meiner Sprache und auf meine Weise anrufen sollen. Sondern dass ich Menschen dazu ermuntere, ihre eigene Sprache zu gebrauchen und ihre eigene Weise zu finden, Gott anzubeten. In einer befreundeten afrikanischen Gemeinde wird im Gottesdienst viel getanzt und laut gerufen. Meine eigene Sprache, mit der ich Gott anrufe, ist eine andere, eine viel leisere. Das eine ist aber nicht besser als das andere. Denn auch für mich gilt: Ich, die weiße Deutsche, bin doch genauso aus einem nichtjüdischen Volk. Auch ich verdanke es nur Gottes Gnade, dass auch ich ihn auf Deutsch anrufen darf, so wie mir eben der Schnabel gewachsen ist. So unterschiedlich wir Menschen sind: vor Gott sind wir alle gleich weit. Und Gott ist uns allen gleich nah.

Autor/-in: Jutta Schierholz