06.11.2019 / Porträt

Für den Frieden ins Gefängnis

Hansjörg Weigel gründete im SED-Unrechtsstaat das „Christliche Friedensseminar Königswalde“. Er wurde so zu einem Wegbereiter der friedlichen Revolution.

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„Ich bin jeden Tag vernommen worden, von früh bis abends. Der Vernehmer wollte, dass ich zum Verräter wurde.“ Doch Hansjörg Weigel hält dicht, verrät keine Namen, keine Querverbindungen. 1980 war das, als die Stasi den Familienvater holte. Der Kfz-Elektriker schraubte gerade an einem Motorrad, als zwei Offiziere in seinen Betrieb kamen und ihn mitnahmen. Ins Visier geraten war Hansjörg Weigel schon lange, schließlich hatte er das „Christliche Friedensseminar Königswalde“ gegründet und als einer der ersten in der DDR, in den 60er Jahren, den Wehrdienst verweigert. Als Bausoldat musste er einrücken in die Nationale Volksarmee, gesellschaftlich hatte er sich damit schon damals ins Abseits gestellt.„Ich durfte keinen Meister machen, nicht studieren, das war alles damit vorbei.“

Info: Hansjörg Weigel, gelernter KfZ-Elektriker und Geschäftsführer i. R., verweigerte den Wehrdienst und kam als Bausoldat 1966/67 zur Nationalen Volksarmee. 1973 gründete er das "Christliche Friedensseminar Königswalde". 1980 erfolgte die Inhaftierung des Familienvaters wegen "staatsfeindlicher Hetze". Nach der friedlichen Revolution wurde Hansjörg Weigel Mitglied der sächsischen Landessynode und saß lange Jahre für die SPD im Stadtrat von Werdau. Er ist Träger des Bundesverdienstkreuzes.

Hansjörg Weigel nimmt das in Kauf. Und spürt: immer mehr junge Menschen beschäftigen sich mit Fragen rund um Aufrüstung, Frieden und Wehrdienst. Und so gründet er im Pfarrhaus des kleinen Dorfes 1973 das „Christliche Friedensseminar Königswalde“. Als er 1980 verhaftet wird, steht ihm ein Anwalt zur Seite, der später bundesweit bekannt werden soll: Wolfgang Schnur. Als Vertrauensanwalt der evangelischen Kirche vertritt Schnur zahlreiche politische Gefangene. Seinem Mandanten Hansjörg Weigel spricht er im Gefängnis Mut und Trost zu.

Rechtsanwalt Wolfgang Schnur spricht ihm Mut und Trost zu im Gefängnis

„Wolfgang Schnur hat mich umarmt, da bin ich das erste Mal umarmt worden im Gefängnis, denn meine Frau durfte mich nicht umarmen. Dann hat er mir die Losungen in die Hand gedrückt und gesagt: `Lesen Sie die Losung, denn die passt genau zu dem heutigen Tag. Sie müssen mit 16 Jahren rechnen, doch seien Sie getrost: die gesamte Kirche steht hinter ihnen´.“

Während der Inhaftierung stirbt Weigels Vater, doch zur Beerdigung darf er nicht fahren. Auch um Frau und Kinder macht sich der Familienvater Sorgen. Durch sein kirchliches Engagement ist Hansjörg Weigel in der Zelle gelandet, trotzdem: seinen Glauben stellt er nicht in Frage. 

„Der christliche Glaube hat mir die Freiheit gebracht.“

„Der christliche Glaube hat mir das Leben gebracht. Und die Freiheit.´Zur Freiheit hat euch Christus berufen´, das ist für mich eine der wichtigsten Bibelstellen, auch im Gefängnis war das so.“

Schließlich lautet das Urteil: 1,5 Jahre Haft wegen „staatsfeindlicher Hetze“. Doch schon nach 2,5 Monaten wird Weigel ohne offizielle Begründung entlassen. Im Hintergrund hatte sich die Kirchenleitung für ihn eingesetzt, auch westdeutsche Medien. Doch Weigel sieht in seiner Entlassung zuallererst eine Gebetserhörung. Und so lässt er sich auch nach der Entlassung nicht einschüchtern und macht weiter mit der Friedensarbeit. „Das Friedensseminar war für mich ja Gemeindearbeit. Und Gemeindearbeit stand nie zur Disposition, nie!“

Der Druck nimmt zu auf den SED-Unrechtsstaat

In den 80er Jahren nimmt das Friedensseminar richtig Fahrt auf: bis zu 800 Teilnehmer kommen. Weitere Friedensseminare gründen sich in anderen Städten. Im Herbst ´89 nimmt der Druck im ganzen Land zu auf das SED-Unrechtsregime, unter dem Schutz der Kirche organisieren sich oppositionelle Gruppen, Friedensgebete werden organisiert, Demonstrationen. Schließlich fällt die Mauer. Den Abend des 9. November 1989 erlebt Hansjörg Weigel mit seiner Frau beim Renovieren des Wohnzimmers, die Silberhochzeit steht vor der Tür. Beide müssen weinen vor Freude.

Ein Koffer voller Stasiakten

Enttäuschungen sind aber auch noch nach der Grenzöffnung zu verkraften: bei einer wissenschaftlichen Untersuchung seiner Stasiakten stellt sich heraus, dass etwa die Hälfte der Freunde beim Friedensseminar Stasispitzel gewesen sind. Auch Rechtsanwalt Wolfgang Schnur wird enttarnt als Inoffizieller Mitarbeiter. Hansjörg Weigel selbst will die Stasiakten nicht einsehen, er will die Vergangenheit ruhen lassen. „Das ist ein riesengroßer schwerer Koffer, den ich nicht tragen kann. Ich habe nie reingeguckt. Ich habe auch nie Klarnamen von IM´s verlangt. Der Koffer war zugerostet bis auf den heutigen Tag.“

„Mich erfüllt eine große Dankbarkeit.“

Offenbart haben sich in der Zwischenzeit einige der ehemaligen Stasi-Spitzel, aber entschuldigt habe sich niemand. Doch Hansjörg Weigel grämt das nicht, denn seinen eigenen Lebensweg begreift er als Gnade Gottes. Und so spürt er 30 Jahre nach dem Mauerfall vor allem eins: eine große Dankbarkeit. „Ich bin eigentlich nur dankbar, dass wir das erleben konnten und wie wir es erlebt haben. Dass alles gewaltfrei war, dass niemand an einem Laternenmasten aufgehängt worden ist. Für mich ist das bis heute ein Wunder, wie das alles überhaupt geschehen konnte. Wir haben ja nie damit gerechnet, aber wir haben darauf zu gelebt.“

Autor/-in: Regina König

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