02.07.2022 / Wort zum Tag

Fluchtversuch

Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.

Psalm 139,9–10

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Haben Sie schon einmal versucht zu fliehen? Aus Ihrem beruflichen Umfeld, aus einer Weiterbildung oder aus Ihrer Ehe? Vielleicht sogar aus Ihrem Land? Die Bibel benennt uns mehrfach Persönlichkeiten, die vor Gott oder anderen Menschen zu fliehen versuchen. So verstecken sich Adam und Eva vor Gott.

Der Prophet Elia flieht vor einer Königin Isebel, die ihm nach dem Leben trachtet. Anderenorts finden wir auch Jona auf der Flucht vor Gott und seinem Auftrag.

In Psalm 139 werden verschiedene Ziele der Flucht als Denkmodell und Theorie im Gebet durchgespielt. Eine Variante lautet: „Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.“

Eine konkrete Situation steht dem Psalmbeter vor seinem geistigen Auge: Er meditiert darüber, wie es wäre, wenn er ans äußerste Meer gelangen könnte. – Damit beschreibt er in seiner Sprache das Ende der Welt. Vielfach wurde in seiner Zeit von anderen geglaubt, dass jeder Gott ein konkretes Territorium für seine Herrschaft hätte. Würde man es verlassen, wäre man frei von seinem Zugriff.

Mit den Flügeln der Morgenröte stellt er sich kein besonderes Fluggerät vor. Vielmehr hat er den plötzlichen Wechsel von Tag und Nacht vor Augen, der sich in seiner Heimat ohne eine längere Dämmerungsphase ganz plötzlich vollzieht. Heute würden wir davon sprechen, wie es wäre, wenn wir uns im Bruchteil einer Sekunde an einen fernen Ort beamen könnten.

Von Gott in seinem Gebet geführt, gibt der Psalmbeter sich selbst die Antwort: Auch am äußersten Meer, in unvorstellbarer Ferne würde er auf „Gottes Hand“ treffen. Flucht vor Gott ist also undenkbar. Denn „Nichts ist gegenwärtiger als Gott und doch ist nichts verborgener“, so Stephen Charnock.

Überall auf dieser Welt ist Gott trotz seiner Unsichtbarkeit gegenwärtig. Diese großartige und gewaltige Erkenntnis wird keineswegs abstrakt entwickelt. Also zum Beispiel mit dem Begriff der „Allgegenwart Gottes“. Mit diesem merkwürdigen Wort ist festgehalten, dass Gott an jedem Punkt seiner Schöpfung voll und ganz anwesend ist. Gut alttestamentlich wird sie in diesem Psalm bildhaft und als persönliche Glaubenserfahrung beschrieben. Die Allgegenwart Gottes will nichts anderes bezeugen als: Wo ich war, Gott war mit mir. Wo ich bin, Gott ist mir nicht fern. Wo ich sein werde, Gott wird mich auch dort durch seine „rechte Hand“ leiten und führen. Gottes rechte Hand steht für Gottes Kraft und Durchsetzungsfähigkeit, für seine Macht und Stärke, mit der er erst Israel aus Ägypten und später aus Babylon befreit hat.

Genauso wird Gott uns als neues Bundesvolk in seiner Treue durch schwierige Zeiten bringen. – Gottes Allgegenwart ist dank seinem Sohn Jesus Christus keinesfalls ein bedrohliches Szenarium. Sie eröffnet uns vielmehr die Möglichkeit, ihn überall anzurufen, uns an jedem Ort dieser Welt über seine Gegenwart zu freuen und ihn in jedem Gottesdienst auf dieser Erde begegnen zu können. Warum ist das so? Weil Jesus uns im Matthäusevangelium, Kapitel18, Vers 20 verheißen hat: „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.“

Eine Flucht vor Gott ist also beides zugleich: Nicht möglich und nicht nötig. – Wegweisend für uns bleibt, dass wir uns tagtäglich auf die Schlussbitte des Psalmes 139 einlassen: „Und siehe,- Gott -, ob ich auf bösem Wege bin und leite mich auf ewigem Wege.“ 

Autor/-in: Matthias Dreßler