30.12.2021 / Wort zum Tag

Du kannst doch!

Dein ist der Tag, dein auch die Nacht; du hast Gestirn und Sonne die Bahn gegeben.

Psalm 74,16

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Das heutige Bibelwort der Herrnhuter Losungen hört sich zunächst an wie der Lobpreis im Sonnengesang von Franz von Assisi. Dein ist der Tag, dein auch die Nacht; du hast Gestirn und Sonne die Bahn gegeben.“ 

Aber hier liegt eine ganz andere Bedeutung vor. Hier wird nicht das Lob Gottes gefördert, sondern Gott wird herausgefordert.

Der Psalmbeter beklagt die völlige Zerstörung des Tempels, dem Heiligtum der Juden. Die Feinde haben dort eine totale Verwüstung angerichtet und verhöhnen Gott, der den Juden nicht geholfen hat.

An diesen Gott wendet sich der Beter und muss ihn erinnern: Du hast mit uns einen Bund geschlossen. Du hast uns zu deinen Erben gemacht. Und er fragt: warum verstößt du uns? Warum ziehst du deine Hand zurück? Wie lange soll dein Name noch gelästert werden?

Und in diesem Zusammenhang sagt er: Dein ist der Tag, dein auch die Nacht; du hast Gestirn und Sonne die Bahn gegeben.“ 

Das heißt: Gott, du kannst doch, du bist allmächtig, du hast alles geschaffen. Also: „Nimm deine Rechte aus dem Gewand und mach ein Ende!“ so zu lesen in Psalm 74.

Zu Deutsch: Zögere nicht länger und hau mal auf den Tisch. Nun, Gott hat nicht gleich auf den Tisch gehauen. Aber die Feinde rückten ab, der Tempel wurde wieder aufgebaut und in ihm erklang wieder das Gotteslob.

Das ist lange her. Aber wenn uns jetzt in Jahresrückblicken die ganzen Schrecken von 2021 noch einmal vor Augen geführt werden, können sich ähnliche Gedanken einstellen, wie beim Psalmbeter. Warum hast du das nicht verhindert, wenn dir die Menschen so wichtig sind? Wie lange lässt du uns noch unter der Pandemie leiden? Warum stürzt du die Gewaltherrscher nicht vom Thron, die so viel Unheil anrichten?

Und im persönlichen Leben kann einen die Frage noch mehr umtreiben, warum Gott so viele Nöte zulässt und wir scheinbar vergeblich auf seine Hilfe warten.

Dann können wir es ähnlich machen wie der Psalmbeter. Wie erinnern uns an Erfahrungen, wo wir Gottes Macht und Eingreifen deutlich erlebt haben. Und diese Erinnerungen dürfen wir Gott vorhalten in dem Vertrauen: Du kannst doch und du weißt doch und ich erwarte meine Hilfe nur von dir.

Und wo wir uns so ehrlich vor Gott aussprechen, können wir aus dem Zweifel und der Klage wieder mehr ins Vertrauen kommen. Und diese Verbindung zu Gott und das Vertrauen in Gott ist die beste Voraussetzung, um auch in das neue Jahr mit Zuversicht hinüberzugehen.

Autor/-in: Günter-Helmrich Lotz