11.02.2022 / Theologie

Drei Nummern zu groß? (1)

Wie Menschen über sich hinauswachsen und schwierige Situationen meistern können.

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David gegen Goliath. Ihr Zweikampf ist längst legendär geworden. Und ihre Namen stehen stellvertretend für ungleiche Auseinandersetzungen zwischen einem kleinen Nobody, der sich tapfer einem übermächtigen Gegner entgegenstellt. Doch im biblischen Bericht von David und Goliath geht es um mehr. Er beantwortet die Frage: Woher nimmt ein Teenager bloß den Mut und riskiert sein Leben im Zweikampf mit einem Elitesoldaten?

Steffen Brack, Theologe und ERF-Redakteur, schaut sich die Begegnung der ungleichen Gegner genauer an. Und er kommt zu dem Schluss: die Quelle für Davids Mut steht auch uns zur Verfügung. Ihnen und mir. Und sie kann uns helfen, schwierige Lebenssituationen zu meistern.

Ganz normal … und ganz schön mutig!

Was ist Mut? Über diese Frage ist der Journalist Mischa Miltenberger immer wieder gestolpert. Und kurzerhand hat er sie an seine Leserinnen und Leser weitergegeben. Sie sollen dem Zeitungsredakteur schreiben, was sie unter Mut verstehen. Und welche Erfahrungen sie mit dem Mutig-Sein gemacht haben. Und wie zu erwarten, deckten die Antworten der Leser und Leserinnen ein ziemlich breites Spektrum ab.

Schwäche und Verletzlichkeit zeigen

Sarah schreibt: „Mut bedeutet für mich das, was für gewöhnlich nicht mit Mut in Verbindung gebracht wird: nämlich Schwäche zeigen und Verletzlichkeit. Und mir selbst erlauben, dass ich Ziele nicht zu erreiche.“ Mut heißt auch, „Fehler eingestehen. Und sich echt und schutzlos zeigen.“ Und noch ein schönes Zitat von Sarah: „Wer nie ängstlich war, musste auch nie mutig sein. Mut ist die edelste Form von Angst.“

Ohne Spanisch-Kenntnisse nach Madrid ziehen

Diana antwortet: „Ich wurde von Freunden als mutig bezeichnet. Denn ich bin vor ca. 8 Jahren alleine nach Madrid gezogen. Ohne Spanisch-Kenntnisse. Und ich habe dort niemanden gekannt. Ich hatte zwar schon einen Job, aber es war trotzdem ein totaler Neuanfang. Obwohl es sehr anstrengend war – vor allem das erste Jahr – hab ich es niemals bereut.“

Etwas tun trotz Angst

Und Rosemarie schreibt: „Ich weiß nicht, ob ich mutig bin. Andere bezeichnen mich als mutig. Aber nur weil ich Dinge tue, die sie sich nicht trauen. Dafür hab ich andere Ängste. Ich habe Angst im Fahrstuhl, in der Seilbahn usw. Aber ich würde jederzeit mit dem Hundeschlitten durch die Schnee-Einsamkeit fahren.“
 

Wann ist ein Mensch mutig? Das ist wohl von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Und doch kommen in diesen wenigen Antworten auch bestimmte Begriffe immer wieder vor. Mut hat wohl etwas mit Angst zu tun. Und zwar damit, ganz unterschiedliche Ängste zu überwinden. Mut hat auch damit zu tun, dass ich echt bin. Dass ich also anderen Menschen nicht etwas vorspielen muss, was ich nicht bin.

Und Mut ist wohl etwas, das wir brauchen, wenn wir etwas Neues wagen wollen. Etwas Neues, das wir im Nachhinein als etwas Gutes erfahren. Als eine Horizonterweiterung, die wir nicht mehr missen wollen. Außerdem ist es wohl gerade auch in unserem ganz alltäglichen Leben von Vorteil, wenn wir mutig sein und beherzt handeln können.

Ein paar Nummern zu groß!?

Ich will mit Ihnen einen Bericht ansehen. Darin geht es um den Mut eines jungen Mannes. Oder besser gesagt, um den Mut eines 17-jährigen Teenagers. Der Bericht handelt von dem jungen David. Und von seinem Zweikampf mit Goliat. Dem furchterregendem Elitekämpfer der feindlichen Philister.

Doch ich meine, es gibt da ein Problem mit diesem Bericht. Nämlich dass viele von Ihnen schon davon gehört haben. Und manche vermutlich bereits als Kind. Warum kann das zu einem Problem werden? Ich meine bei Schilderungen, die uns schon bekannt sind – und ich schließe mich da ganz bewusst mit ein – bei Schilderungen, die wir kennen, da schauen wir oft nicht mehr ganz so genau hin. Was steht da denn wirklich? Weil wir meinen, wir kennen das ja schon alles.

Dazu kommt im Fall von David und Goliat noch die Tatsache, dass die Ereignisse ziemlich spektakulär sind. So spektakulär, dass ich sie vielleicht viel zu schnell als eine Abenteuergeschichte verstehe. Eine Abenteuergeschichte, die so fantastisch ist, dass sie mit mir und meinem Leben gar nichts zu tun hat.

Sicher: der Zweikampf von David und Goliath ist längst legendär geworden. Und ihre Namen stehen stellvertretend für ungleiche Auseinandersetzungen zwischen einem kleinen Nobody, der sich tapfer einem übermächtigen Gegner entgegenstellt. Doch in der biblischen Schilderung von Davids Zweikampf gegen Goliath geht es um mehr. Sie gibt eine Antwort auf die Frage: Woher nimmt ein Teenager bloß den Mut und riskiert sein Leben im Kampf Mann gegen Mann mit einem Vorzeigesoldaten einer Spezialeinheit des feindlichen Heeres?

Deshalb will ich mir die Begegnung dieser ungleichen Gegner genauer anschauen. Und ich will dabei deutlich machen: die Quelle für Davids Mut steht auch uns zur Verfügung. Ihnen und mir. Und sie kann uns helfen, schwierige Lebenssituationen zu meistern.

Grenzstreitigkeiten

Das Aufeinandertreffen von David und Goliat wird im ersten Teil der Bibel geschildert. In der Hebräischen Bibel also. Aus christlicher Perspektive wird sie meist das Alte Testament genannt. Und dort finden wir den Bericht von dem ungleichen Zweikampf im ersten Buch Samuel. Und zwar im Kapitel 17. Da heißt es gleich am Anfang:

Die Philister zogen ihre Streitmacht bei Socho im Gebiet des Stammes Juda zusammen. In Efes-Dammim zwischen Socho und Aseka hatten sie ihr Lager. Saul bot alle wehrfähigen Männer Israels auf und ließ sie im Eichental das Lager beziehen. Als die Israeliten zum Kampf antraten, stellten sie sich am Abhang des Tales auf. Am gegenüberliegenden Abhang standen die Philister; dazwischen lag die Talsohle. (1 Samuel 17,1-3).

Es ist wohl nicht besonders überraschend: zu dem Zweikampf zwischen David und Goliat kommt es durch einen militärischen Konflikt. Durch einen Krieg. Und zwar zwischen den Philistern und den Israeliten.

Wenn in der Bibel von Kriegen die Rede ist, dann löst das in mir auch ziemlich ungute Gefühle aus. Ja. Ich weiß: in einer Welt, die sich von Gott losgesagt hat – in so einer Welt kommt es auch zu Gewalt zwischen Menschen, zwischen Gruppen und zwischen Völkern.

Aber Kriege sind und bleiben eine furchtbare Katastrophe. Denn sie bringen unfassbar viel Leid über die betroffenen Menschen. Ich persönlich war noch nie von einem Krieg unmittelbar betroffen. Bei meinen Eltern und Großeltern sieht das aber schon ganz anderes aus. Mein Opa war im zweiten Weltkrieg als Soldat. Und nach dem Krieg geriet er in Gefangenschaft. Für meine Oma, meinen Vater und meine Tante hieß das: jahrelang hat der Vater in der Familie gefehlt. Ganz zu Schweigen von der nagenden Ungewissheit, ob mein Opa überhaupt zurückkommen wird. Oder ob er im Krieg ums Leben kommt.

Deshalb bin ich Gott auch so unendlich dankbar, dass ich selbst in Mitteleuropa noch nie einen Krieg erleben musste. Das ist ein unfassbar großes Geschenk. Und ein Blick in den Rest der Welt zeigt: Kriege bestimmen das Leben unzähliger Menschen. Jeden Tag. Und da kann es ja vielleicht sogar ermutigend sein, dass in der Bibel die brutale Realität von Kriegen nicht verschwiegen wird. Und dass dabei deutlich wird: Gott ist selbst in den furchtbarsten Wirren eines Krieges jederzeit in der Lage, Menschen zu führen und ihnen zu helfen.

Denn der Gott, von dem in der Bibel die Rede ist, der ist stark, er ist mächtig und größer als alles, was es im Universum gibt. Deshalb heißt es auch von ihm: „Gott ist ein mächtiger Held – ein starker Kämpfer; sein Name ist ›Jahweh‹. Das ist der Gott Israels.“ (2. Mose 15,3). Und wenn Gott seine neue Welt errichtet, dann schafft er auch die Kriege ab. Endgültig (s. z. B. Jesaja 2,1-5).

Zurück zu David und der kriegerischen Auseinandersetzung, von der im ersten Buch Samuel die Rede ist – im Kapitel 17. Der biblische Bericht gibt keinen direkten Hinweis darauf, wann dieser bewaffnete Konflikt stattgefunden hat. Klar ist aber: Saul ist zu diesem Zeitpunkt König von Israel. Und seine Regierungszeit datiert etwa vom Jahr 1.050 vor Christus bis zum Jahr 1.012 oder 1.011 vor Christus. Das ist das Jahr, in dem Saul stirbt. Und in dem David König wird. Da ist David 30 Jahre alt (2. Samuel 5,4).

Manche Ausleger haben sich intensiv mit den biblischen Texten beschäftigt, die von den Ereignissen berichten, die nach dem Aufeinandertreffen von David und Goliat stattfinden. Und daraus schließen sie: vom Kampf Davids mit Goliat bis zu dem Zeitpunkt, als David König wird, vergehen etwa 13 Jahre. Dann haben die Philister ihre Armee etwa im Jahr 1.025 vor Christus bei Socho aufmarschieren lassen. Und David ist damals etwa 17 Jahre alt.

Die Philister stammen wohl von einem der Seevölker ab, die ein paar Jahrhunderte zuvor von der Ägäis ausgewandert sind. Und zwar in den Vorderen Orient. Vermutlich wegen der Griechen, die sich immer weiter ausgebreitet haben. In Israel besiedeln die Philister die Ebene entlang der südlichen Mittelmeerküste. Und eine ihrer wichtigen Städte heißt schon damals Gaza.

Das Gebiet dieses kriegerischen Volkes befindet sich also ziemlich genau dort, wo heute der bekannte Gazastreifen liegt. Seit Jahrhunderten bekriegten die Philister Israel immer wieder. Davon ist in der Bibel immer wieder die Rede – besonders im Buch der Richter (vgl. z.B. Richter 3,1-3.31; 10,6-16; 13-16; 1. Samuel 4-4). Auch Saul ist schon als König Israels gegen sie in den Kampf gezogen. Und er hat die feindlichen Nachbarn aus dem jüdischen Bergland vertrieben (1. Samuel 14).

Elitekämpfer aus Gat

Doch die Philister lassen diese Niederlage nicht lange auf sich sitzen. Und so ziehen sie jetzt mit ihren Truppen nach Socho. Direkt an die Grenze zu Juda, einem Stamm Israels. Das ist die Situation, die jetzt hier im 1. Buch Samuel, im Kapitel 17, geschildert wird. Und Saul, König von Israel, zieht den Philistern mit seiner Armee entgegen. Die beiden Heere stehen sich also nun gegenüber. Und dazwischen liegt ein Tal.

Ich lese weiter aus dem Kapitel 17 im 1. Samuelbuch, die Verse 4 bis 7:

Da trat aus dem Heer der Philister ein einzelner Soldat heraus: Goliat aus der Stadt Gat. Er war über drei Meter groß. Gerüstet war er mit einem Helm, einem schweren Schuppenpanzer und mit Beinschienen, alles aus Bronze. Dazu hatte er sich noch ein bronzenes Krummschwert auf den Rücken geschnallt. Sein Brustpanzer wog 60 Kilogramm, sein Speer war so dick wie ein kleiner Baum, und allein die Eisenspitze des Speeres war über 7 Kilogramm schwer. Vor ihm her marschierte sein Schildträger mit einem riesigen Schild.

Das ist er also: Goliat, Elitekämpfer in den Reihen der Philister. Manche von uns kennen ihn aus ihren Kindheitstagen vermutlich einfach unter dem Namen „der Riese Goliat“. Und der Mann ist wahrhaftig groß. Je nachdem, welches Maß für eine Elle verwendet wird, misst dieser furchteinflößende Krieger zwischen 2 Meter 85 und 3 Meter 20.

Natürlich wurde und wird immer wieder angezweifelt, dass Goliat tatsächlich derart riesig gewesen ist. Und eines der Hauptargumente lautet im Grunde genommen: so große Menschen gibt es nicht. Und weil wir heute keine so großen Menschen kennen, gab es damals auch keine. Dieses Argument ist natürlich nicht besonders stichhaltig. Was heute nicht vorkommt, kann es ja trotzdem einmal gegeben haben. Übriges wird im Guinnessbuch der Rekorde Robert Wadlow als der größte Mensch der Welt notiert. Und der ist 2 Meter 72 groß gewesen. Und der größte lebende Mensch ist der Türke Sultan Kösen mit immerhin 2 Metern 51.

Was vielleicht noch wichtiger ist. Bei Ausgrabungen in Israel wurden menschliche Skelette aus jener Zeit gefunden, die etwa so groß sind, wie Goliat hier beschrieben wird. Dazu kommt noch, dass in der Bibel häufiger auf Menschen mit einem riesigen Wuchs verwiesen wird (5. Mose 2,20f; 2. Samuel 21,22).

Das deutet wohl darauf hin, dass bei der Beschreibung Goliats hier nicht einfach übertrieben wird, um den Größenunterschied zu dem schmächtigen Teenager David noch zu steigern. Zumal die übrigen Einzelheiten, die hier beschrieben werden, nämlich die Rüstung und die Waffen Goliats, – sehr genau der damaligen Waffentechnik entsprechen. So wie sie durch die Archäologie bekannt ist. Sogar bis zu dem Detail, dass Goliats Speer eine Spitze aus Eisen hat. Während der Rest seiner Bewaffnung aus Bronze besteht. Denn die Philister waren in Israel die ersten, die etwa im 11. Jahrhundert vor Christus damit begonnen haben, aus der Bronzezeit in eine neue Epoche zu wechseln: nämlich in die Eisenzeit. Goliat ist also nicht nur wegen seiner schieren Größe, sondern auch in der Technologie seiner Waffen den Israeliten überlegen.

Wichtiger aber als die furchterregende Erscheinung Goliats ist das, was er sagt. Ich lese die Verse 8-11:

Goliat stellte sich den israelitischen Schlachtreihen gegenüber auf und brüllte: »Was wollt ihr hier eigentlich mit eurem ganzen Heer? Ich bin ein Philister, und ihr seid nur Knechte Sauls. Los, wählt euren besten Mann aus und schickt ihn herunter zu mir! Wenn er mich töten kann, dann werden wir eure Sklaven sein. Aber wenn ich ihn erschlage, dann sollt ihr uns als Sklaven dienen. Ja, ich fordere heute alle Israeliten heraus. Wo ist der Mann, der es mit mir aufnehmen kann?« Als Saul und seine Soldaten das hörten, erschraken sie und bekamen große Angst.

Goliat schlägt einen Zweikampf vor. Statt die beiden Heere in einem fürchterlichen Gemetzel aufeinander loszulassen, sollen stellvertretend nur zwei Krieger gegeneinander kämpfen. Und der Sieger ist die Seite, deren Kämpfer der Zweikampf für sich entscheidet. Goliat klingt extrem selbstsicher. Ja sogar arrogant und überheblich. Aber bei der Größe. Und mit dieser Bewaffnung.

Wer soll gegen diesen Hünen antreten? Und Goliats Kampfansage verfehlt ihre Wirkung nicht. Hier heißt es:

Als Saul und seine Soldaten das hörten, erschraken sie und bekamen große Angst.“ Zuerst wird Saul genannt. Auch er verliert den Mut, als er Goliat erblickt und seine Worte hört. Und eigentlich sollte er es sein, der in die Bresche springt für sein Volk. Denn er ist ihr König. Und auch er ist groß. „Saul war stattlich und kräftig gebaut und einen Kopf größer als alle anderen Israeliten. (1. Samuel 9,2).

Dieser Artikel wird in Teil 2 fortgesetzt.

Autor/-in: Steffen Brack

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