10.06.2023 / Bericht

Die Ursachen von Atheismus

Wissenschaftler benennen vier Typen von Atheisten.

Wenn Christen den Satz: „Ich bin Atheist.“ hören, gehen die meisten wohl sofort in Abwehrhaltung. Sie befürchten nämlich eine ausufernde Diskussion über die Gründe, warum jemand nicht an Gott oder an übernatürliche Kräfte glaubt. Das ist ein Vorurteil, mit dem viele Atheisten leben müssen, denn häufig wird der Begriff Atheismus unwissentlich mit Antitheismus gleichgesetzt. Antitheisten sind Menschen, die aktiv gegen jede Form von Religion eintreten und versuchen andere Menschen von ihrem Standpunkt zu überzeugen. Aber nicht jeder Atheist ist auch ein Antitheist.

Doch, welche Gründe führen Menschen für die Entscheidung an nicht an Übernatürliches zu glauben? Die amerikanische Wissenschaftler Ara Norenzayan und Will M. Gervais haben verschiedene Forschungsergebnissen ausgewertet und die Ergebnisse veröffentlicht. Demnach werden Atheisten häufig stigmatisiert. Die Forschungsergebnisse belegen, dass nur ein kleiner Teil der Atheisten aus Überzeugung unreligiös ist. Die beiden Wissenschaftler haben Atheisten in vier verschiedene Typen unterteilt.

Manchen fällt es leichter an den Zufall zu glauben

Der ersten Gruppe von Atheisten fällt es schwer sich vorzustellen, dass es unsichtbare Wesen gibt, die eigene Wünsche und Absichten haben. Die Kommunikation mit einem Gott ist für sie nichts weiter als ein Selbstgespräch. Ihnen fehlt das Vorstellungsvermögen für Übernatürliches. Das belegen auch verschiedene Hirnforschungen. Man hat festgestellt, dass Beten Gehirnareale aktiviert, die für Mentalisierungsprozesse zuständig sind. Dieser Teil des Gehirns ist dafür zuständig, dass wir uns die Gefühle und Wünsche unseres Gegenübers vorstellen können.

Menschen, bei denen dieses Areal weniger ausgeprägt ist, haben eher Schwierigkeiten an Gott zu glauben. Die Antwort auf die Frage, warum sie Atheisten sind, lautet häufig: „Ich kann es mir einfach nicht vorstellen, dass es jemanden gibt, der über uns wacht und mit dem ich sprechen kann.“ Daher fällt es ihnen leichter zu glauben, dass alles aus dem Zufall entstanden ist.

Religion hat in unserer Gesellschaft keinen Platz mehr

Die zweite Gruppe zeichnet eine Gleichgültigkeit gegenüber allem Übernatürlichem aus. Die Wissenschaftler vermuten, dass vor allem existenzielle Sicherheit die Ursache für ein solches Denkmuster ist. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass die meisten Atheisten in Europa leben. Vor allem in Skandinavien leben viele Menschen, die nicht an Gott glauben.

Wo das Leben sicher und vorhersehbar ist, da besteht eine geringere Motivation an Götter zu glauben. Überall dort, wo Menschen immer wieder mit dem Tod konfrontiert werden, finden sie Sicherheit in ihrer Religion, so die Studie. Auch das Erleben eigener Ohnmacht, sozialer Isolation sowie der direkter Kontakt mit dem Leid anderer bewirken, dass Menschen in einer Religion Halt suchen.

Der dritte Typ, den die Wissenschaftler benannt haben, ist mangels religiöser Prägung und Rituale Atheist geworden. Laut der Studie ist auch diese kulturelle Entwicklung vor allem in Europa zu beobachten. Die Säkularisierung der Gesellschaft prägt die folgenden Generationen. Bereits Kindern wird vermittelt, dass Religiosität in unserer Gesellschaft keinen Platz mehr hat, deswegen kommen auch immer weniger Menschen mit Religion in Kontakt.

Eine souverän agierende säkulare Regierung vermittelt das Bild: „Wir brauchen keine Religion, um erfolgreich zu sein.“ Darüber hinaus ist der Anteil der Atheisten bei erfolgreichen Geschäftsleuten besonders hoch. Das verstärkt den Eindruck, dass Religiosität nur hinderlich ist, wenn man selbst erfolgreich sein will. Außerdem wird der Einfluss der Religion immer geringer, weil die Bedeutung und Häufigkeit religiöser Institutionen abnimmt. Auch der Erfolg von säkularen Betrieben lässt die Bedeutung der Religion für die Gesellschaft schwinden.

Auch die existenzielle Sicherheit, also die Sicherung der Grundbedürfnisse, ist bei diesem Aspekt von Bedeutung. In der Realität wirken also verschiedene Ursachen für Atheismus zusammen. Das verdeutlicht ein Beispiel: Steigt die existenzielle Sicherheit, sinkt die Besucherzahl in den Gottesdiensten. Dadurch sinkt der Einfluss der Kirche und es kommen weniger Menschen mit Religion in Kontakt.

Verschiedene „Glaubensrichtungen“

Die vierte Gruppe besteht aus überzeugten Atheisten. Analytisch denkende Menschen sind das prägende Bild dieser Gruppe. In religiösen Gesellschaften wenden sie sich gegen kulturelle Überzeugungen. Diese Menschen sind häufig besonders skeptisch – nicht nur gegenüber Übernatürlichem. Dieser Typ hat allerdings nur einen geringen Anteil an der Gruppe der Atheisten. Und auch wenn die meisten Atheisten diesen Typs ihren Unglauben begründen können, heißt das noch nicht, dass sie die Konfrontation mit Gläubigen suchen.

Vor allem in dieser Gruppe geht das Spektrum an „Glaubensrichtungen“ weit auseinander. Ein Beispiel für die verschiedenen Überzeugungen ist der Nihilismus. Nihilisten behaupten, dass es keinen Sinn oder moralische Werte im Leben gibt. Vor allem Friedrich Nietzsche prägte den Nihilismus. Er behauptete, dass Wahrheit immer subjektiv wäre und Werte nicht generell nützlich seien. Auch Materialisten kann man zu den Atheisten zählen. Materialisten meinen, dass nur das existiert, was aus Materie besteht und somit wissenschaftlich beweisbar ist.

Materialismus und Nihilismus beschreiben also zwei unterschiedliche Herangehensweisen, die eigene atheistische Überzeugung zu begründen. Daran zeigt sich, dass gerade die Gruppe der „Atheisten aus Überzeugung“ keine homogene Gruppe ist, sondern ganz unterschiedliche „Glaubensrichtungen“ innerhalb des Atheismus‘ umfasst.

Den Atheisten gibt es nicht

Auch Christen könnte man in verschiedene Typen unterteilen. Es gibt diejenigen, die die Diskussion um jeden Preis suchen, und Christen, die sich eher zurückhalten. Zu diesem Urteil kommen auch Norenzayan und Gervais in ihrer Abhandlung. Sie betonen, dass auch religiöse Menschen aus verschiedenen Gründen ihren Glauben leben. Dabei stellte sich heraus, dass die Ursachen, warum Menschen religiös oder nicht religiös sind, im Prinzip dieselben sind. Sie können sowohl bei Atheisten als auch bei Gläubigen kulturell oder rein kognitiv begründet sein.

Es gibt demzufolge auch Christen, die nur glauben, weil es ihnen von ihren Eltern oder ihrem Umfeld so vorgelebt wurde. Eine eigene Entscheidung ist in diesem Fall nicht unbedingt gefallen. Auf der anderen Seite gibt es auch Christen, die nicht in einem religiösen Umfeld aufgewachsen sind. Sie haben sich gegen ihre persönliche Prägung und für ihren Glauben entschieden.

Eine weitere Gemeinsamkeit ist aber die gegenseitige Stigmatisierung. Laut einer gängigen Definition sind Atheisten Menschen, die nicht an Götter oder übernatürliche Wesen glauben. Doch dieser Satz ist umstritten, denn er trifft es nicht ganz. So gibt es zum Beispiel auch agnostische Atheisten. Der Agnostizismus besagt aber, dass man über die Existenz von Göttern nichts sagen kann, da sie weder be- noch widerlegbar ist. Agnostiker schließen also nicht aus, dass es Götter geben könnte, glauben aber auch nicht daran. Das zeigt, dass es „den Atheisten“ nicht gibt, genauso wenig, wie es „den Moslem“ oder „den Christen“ gibt.

Die andere „Glaubensrichtung“ akzeptieren

Noch ist der Großteil der Menschen religiös, denn der Anteil der Atheisten liegt weltweit bei etwa einer halben Milliarde. Das könnte sich in Zukunft aber durch die Säkularisierung der Gesellschaft ändern. Wo weniger Menschen mit dem Glauben in Kontakt kommen, da können sie auch nicht religiös werden. Die Studie stellt zum Schluss eine interessante Prognose auf. Sie besagt, dass wir möglicherweise bald in einer neuen geschichtlichen Epoche leben werden: Einer Epoche, in der es keinen Glauben an Gott oder Götter mehr gibt.  

Gerade aus diesem Grund sollten Christen sich nicht scheuen mit Atheisten ins Gespräch zu kommen. Eine Studie der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen gibt in diesem Punkt eine Hilfestellung. Darin wird deutlich, dass Christen gegenüber Ungläubigen nicht besserwisserisch auftreten sollten. Trotzdem sollten sie betonen, wie ihnen persönlich der Glaube Trost und Sinn gegeben hat.

Auf Kritik seitens der Ungläubigen müssen Christen immer gefasst sein. Dabei ist es besonders wichtig, auf Kritik einzugehen und seinen Standpunkt zu erklären ohne dabei zu provozieren. Respekt sollte immer die Grundlage eines Gespräches sein. Denn auch die meisten Atheisten begegnen religiösen Menschen und ihren Überzeugungen mit Respekt.

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