09.09.2023 / Bibel heute

Die kanaanäische Frau

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Es gibt viele neue Erfindungen. Manche sind hilfreich, andere nicht. Dass ich einen Computer oder ein Smartphone benutzen kann, finde ich großartig. Ich könnte mir meine Arbeit ohne diese Werkzeuge gar nicht mehr vorstellen. Aber sowohl beim Computer als auch beim Handy gibt es eine Autokorrektur, wenn man Texte schreibt. Mit dieser Autokorrektur stehe ich auf Kriegsfuß. Oft schon ist mir ein Wort verdreht worden – mit peinlichem Ergebnis. Neulich zum Beispiel: Ich wollte schreiben „Mit herzlichen Grüßen“, doch dann habe ich mit meinem Zweifingersuchsystem auf der Tastatur das i und das o verwechselt. Und die Autokorrektur hat daraus gemacht: „Mit herzlosen Grüßen“. Stellen Sie sich vor, was passiert, wenn ich so eine E-Mail an die Kollegen abschicke: „Mit herzlosen Grüßen“ oder gar an jemanden, der um ein seelsorgerliches Gespräch bittet: „Mit herzlosen Grüßen“… Stellen sie sich vor, ich schicke eine WhatsApp ab an meine Frau unterzeichnet „Mit herzlosen Grüßen“ …

In der Geschichte von Jesus und der kananäischen Frau, die uns sowohl Markus als auch Matthäus überliefern, scheint Jesus im Gespräch mit dieser Frau zunächst einmal genau so drauf zu sein: Mit herzlosen Grüßen…

Doch der Reihe nach. Nach den Wundern am See Genezareth und nach den letzten Auseinandersetzungen mit den Pharisäern hatte Jesus seine galiläische Heimat verlassen und ist ins Ausland gegangen. Sein Weg führte ihn nach Tyrus und Sidon, zwei damals bekannten Hafenstädten. Tyrus und Sidon beherrschten lange Zeit den Handel mit Spanien. Ihre Schiffsbaukunst war berühmt. Schon im Alten Testament  spielte dieses Gebiet eine Rolle, denn auch der Prophet Elia floh dorthin und half durch ein Wunder einer verwitweten Frau. Selten hatte Jesus Israel verlassen. Aber jetzt war es nötig: Vielleicht wollte er einer drohenden Verhaftung durch Herodes und die mit ihm verbündeten Pharisäer entkommen. Vielleicht suchte er aber auch für sich und seine Jünger einfach einmal einige Augenblicke der Ruhe.

Doch mit der Ruhe wurde es nichts. Eine Frau näherte sich Jesus und bat ihn um Hilfe. Doch Jesus, in dessen Namen schon das Wort Hilfe eingegraben ist - Jeschua, der Herr hilft – wollte nicht helfen. Er schwieg. Er antwortete ihr nicht. Mit herzlosen Grüßen. Jesus war nicht auf Helfen eingestellt: Heute bitte mal nicht. Vermutlich war er erschöpft, überwältigt von den vielen, die etwas von ihm wollten. Doch da war diese Frau, die wusste, dass sie eigentlich keine Chance hatte. Sie war eine Frau, kein Mann, eine Kanaanäerin, keine Jüdin, eine Heidin, keine Frau aus Gottes Volk. Sie war komplett unterqualifiziert, um Jesus erfolgreich um Hilfe bitten zu können. Und doch ließ sie sich nicht abhalten, denn ihre Not brachte sie schier um: „Jesus bitte hilf! Meine Tochter! Ein Dämon hat von ihr Besitz ergriffen, was so viel bedeutet wie: sie ist nicht mehr bei sich, sie ist nicht mehr Herrin im eigenen Haus. Da hat etwas Lebensfeindliches sich in ihrem Leben festgesetzt. Jesus, kannst du ihr nicht helfen? Bitte, bitte!“

Eigentlich denken wir, dass Jesus da gerne eingreifen würde. Aber er tut es nicht. Nicht nach der ersten und nicht nach der zweiten Bitte. „Ich bin hier nicht zuständig“, sagt er. „Zum jetzigen Zeitpunkt gilt mein Dienst nur dem Volk Israel.“

Doch selbst jetzt lässt diese Frau nicht locker, fällt vor ihm nieder und erneuert ihr Anliegen. Mir kommt es so vor, dass Jesus die Situation auf die Spitze treibt, dass er es eskalieren lässt. Er gebraucht einen Vergleich mit Hunden. Hunde waren damals keine Schoßhündchen, die auf dem Sofa ihrer Herren schliefen und mit Leckerlis gefüttert wurden. Hunde waren eine Plage, es waren unbeliebte Straßenköter. Genau als solche bezeichnet Jesus die Frau und mit ihr alle Syrophönizier. Jesus sagt: „Zuerst bekommen die Kinder zu essen. Man gibt nicht, was den Kindern zusteht, den Hunden.“ Bedeutet so viel wie: „Ich bin für das Volk Israel da. Nicht für dich.“ Und ich bin schockiert, denn so kenne ich Jesus nicht.

Spätestens jetzt, vermutlich auch schon viel früher, hätte ich wohl aufgegeben, Jesus weiter zu bitten. Vermutlich kennen Sie das. Ich verzage schnell, wenn meine Gebete nicht gleich erhört werden. Ich zweifle an Gottes Liebe oder bin in meinem Stolz getroffen. Die erste Lektion, die ich aus dieser Geschichte lernen will, ist: Gib nicht leicht auf, wenn du Jesus um etwas bittest für dich oder für andere. Bleibe dran. „Seid beharrlich im Gebet“, schreibt Paulus an die Christen in Rom (Römer 12,12). Gott lässt sich manchmal Zeit und: Gott hat einen guten Plan. Das gilt auch dann, wenn ich das zunächst nicht verstehe.

„Es ist nicht recht, dass man das Brot der Kinder den Hunden vorwirft.“ Was für ein Satz von Jesus! Nun aber kommt die entscheidende Stelle der ganzen Geschichte. Man müsste sich doch über Jesus aufregen, ihn herzlos schimpfen. Aber genau das tut die Frau nicht. Sie gibt Jesus Recht. Sie sagt: „Ja, Herr, ja, du hast Recht!“ Das ist geradezu sensationell. Sie verzieht nicht das Gesicht, sie ist nicht beleidigt, sie schreit ihn nicht an. Sie sagt: „Jesus, ja, du hast Recht. Und ich habe kein Recht, keinen Anspruch auf deine Hilfe.“ Die Haltung dieser Frau beeindruckt mich sehr, denn ich fühle mich ertappt. Wie oft denke ich: „Es wäre doch recht und billig, dass Gott mir hilft. Es steht mir doch zu, dass er so eingreift, wie ich das will. Das habe ich doch verdient, denn ich diene ihm ja so treu…“

Und ich will lernen: ich stehe vor Gott niemals mit Ansprüchen. Sein Erbarmen ist ungeschuldet: sein Erbarmen ist kein Recht. Wenn ich etwas von Jesus empfange, dann geschieht das nie auf der Basis dessen, wer ich bin und was ich tue, sondern immer auf der Basis seiner Güte.

Ich bitte nicht um das, was mir zusteht. Ich bitte um das, was mir nicht zusteht! Ich will nicht, was ich verdient habe, ich will, was ich nicht verdient habe. Gott schuldet mir nichts, … aber er gibt mir alles. Gib mir, Herr, was mir nicht zusteht. So fängt es an und so bleibt es bis zum letzten Atemzug.

Und ich will mit und von dieser Frau weiter lernen. Sie glaubt und ist überzeugt davon, dass Jesus genug hat. Genug für die Kinder und genug selbst für die Hunde. Sie glaubt und vertraut: Bei Jesus ist die Fülle, keiner wird bei ihm zu kurz kommen. Auch sie nicht und ihre Tochter nicht. Deshalb antwortet sie Jesus: „Ja, Herr; aber doch fressen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen“. Sie weiß es: die Brosamen sind mir genug. Erstaunlicherweise steht diese Geschichte ja zwischen den Geschichten von der Speisung der 5.000 im Matthäusevangelium, Kapitel 14 und der Speisung der 4.000 im Matthäusevangelium, Kapitel 15. Beide Male werden alle satt und beide Male sind Körbe voll übrig. Jede Menge. Alle diese Geschichten reden vom Überfluss Gottes. Vom Überfluss seines Erbarmens und seiner Güte. Die Frau weiß: Wenn die Kinder gegessen haben, ist für mich noch genug da.

So bittet sie Jesus um einen Krümel. Und Jesus sieht ihren Glauben und er schenkt ihr weit mehr als einen Krümel. Er gibt ihr einen Vorgeschmack auf das, was seit Ostern uns allen offensteht. Jesus lädt uns ein, an seinen Tisch zu kommen, Gemeinschaft mit ihm zu haben und seine Kinder zu sein.

Lassen Sie uns von dieser Frau lernen, trotz des Schweigens, des Neins und des Noch nicht, uns nicht von Jesus abzuwenden, sondern nur noch mehr und noch dringender seine Nähe zu suchen. Lasst uns wie diese Frau mutig und demütig zugleich sein.

Für heute grüße ich sie – mit herzlichen Grüßen.

Autor/-in: Uli Limpf