05.06.2023 / Text-Beiträge

Die Gedanken der anderen

Was ich steuern kann und was nicht.

Seit Wochen steht fest, dass heute wieder einen Text von mir erscheinen wird und seit Wochen trage ich den Gedanken mit mir herum, worüber ich schreiben möchte. Mal habe ich es beiseite geschoben, dann war ich mir ziemlich sicher und habe mich nur nicht hingesetzt und angefangen und dann habe ich wieder gezweifelt, ob sich überhaupt jemand dafür interessiert. Tausend Gedanken, die sich auftürmen und jetzt, wo ich hier sitze und schreibe, stelle ich fest, wie unnötig 90% davon waren.

Worum ich mir Gedanken mache, sind Gedanken

Damit sind wir auch schon mitten im Thema. Ich mache mir oft Sorgen. Nicht so sehr um meine Versorgung oder ob es den Menschen in meinem Umfeld gut geht. In diesen Dingen fällt es mir eher leicht zu vertrauen oder auf Besserung zu hoffen.

Worum ich mir Gedanken mache, sind Gedanken. Was denken andere? Welche Erwartungen haben sie an mich? Will ich diesen gerecht werden? Oder will ich sie überraschen? Strahle ich das aus, was ich ausstrahlen will?
Diese Gedanken setzen mich unter Druck. Ich plane das, was ich ausstrahlen möchte, und bin dann ab und an überfordert damit, aus meiner Komfortzone auszubrechen. Wenn ich es mir recht überlege, dann handle ich viel mehr aus Berechnung, als ich es vor wenigen Monaten zugegeben hätte. 

Manipulation

Ich mag es nicht, nicht zu wissen, was andere denken. Blöd, denn selbst wenn ich versuche, ein gewisses Bild zu vermitteln, heißt das ja noch lange nicht, dass es auch ankommt. Ich kann die Gedanken anderer Menschen nicht steuern und das verunsichert mich zutiefst.

Wie gerne würde ich das Bild von mir, wie ich gerne hätte, dass mich Leute sehen, in deren Köpfe pflanzen – aber natürlich ganz unauffällig. So, dass sie gar nicht merken, dass ich sie manipuliere. Denn – sind wir mal ehrlich – genau das ist es. Manipulation. Natürlich nicht im großen Stil aber in Gedanken fängt es an und dann hört Authentizität auf und es beginnt ein Versteckspiel, ein Maskenball. 

Verurteile dich nicht für Dinge, für die du andere nicht verurteilen würdest

Die Balance zu halten, das heißt, das wahre Ich zu zeigen, fällt mir oft schwer. Manchmal weiß ich nicht mal, ob das, was ich gerade tue, echt ist oder ob es dem gewünschten Bild dient. Manchmal ist es auch dazwischen und manchmal sind beide Motive deckungsgleich. 

Wenn ich ehrlich bin, tut es mir leid. Es tut mir leid um jeden Moment, in dem ich anderen Menschen nicht erlaubt habe, mich selbst zu sehen. Und es tut mir auch um mich leid, dass ich das Gefühl habe, nicht echt sein zu dürfen. Vielleicht kommt das richtige Ich nicht so gut an wie das Fake-Ich. Aber das sollte mir egal sein. 

Möchte ich Menschen in meinem Leben haben, die mich nur mögen, wenn ich versuche, möglichst gut in ein bestimmten Schema zu passen? Nein. Also darf ich lernen auch selbst gnädig mit mir zu sein. Ich bin überfordert? Das ist okay. Ich kann ein gewisses Pensum an Arbeit oder sozialen Kontakten nicht so stemmen wie andere? Das ist auch okay. Meine Freundin Ester hat mal gesagt: „Verurteile dich nicht für Dinge, für die du andere nicht verurteilen würdest.“ Dieser Satz nagt immer wieder an mir. Aber er ist so wahr. 

Dinge, die ich nicht ungeschehen machen kann

Das ist jedoch erst die eine Seite, die mir heute wichtig ist. Das, was mich noch viel mehr verunsichert als direkte Situationen, ist die Vergangenheit. Dinge, die ich getan oder gesagt habe, die ich nicht ungeschehen machen kann.

Meine Vergangenheit prägt natürlich auch das Bild, das Menschen von mir haben. Das mache ich ja genauso - ich assoziiere Menschen mit Geschehnissen, mit anderen Menschen oder komischen Sachen. Das ist manchmal auch unangebracht, aber so funktioniert das Gehirn eben. 

Womit ich also unzählige Stunden verbringe, ist es, mir zu wünschen, dass Dinge entweder nie geschehen wären oder anders ausgegangen wären. Oder mir vorzustellen, welches Bild Menschen deswegen von mir haben. Welche Assoziationen sie mit mir haben. Natürlich fokussiere ich mich da schnell auf das Negative. Es geht ja schließlich um die Angst, nicht angenommen zu werden oder ein schlechtes Bild abzugeben. Vielleicht auch verstoßen zu werden. Who knows. 

Ich bin nicht meine Fehler oder meine Vergangenheit

Was mache ich jetzt mit dieser Erkenntnis? Ich glaube, dass es wichtig ist, sich zu vergewissern, worin die eigene Identität besteht. Ich bin nicht meine Fehler, meine Vergangenheit, meine Handlungen. Ich bin auch nicht meine Siege und Errungenschaften. Meine Identität besteht in nichts, was man schaffen kann oder was ich kaputt machen könnte. 

Ich glaube, dass meine Identität in Christus liegt. Ich bin geliebt, ich bin Gottes Kind und ich bin es wert, angenommen zu werden. Alles andere kommt danach. Gott hat mich so geschaffen wie ich bin und das ist okay. Das habe ich tausende Male gehört und wieder vergessen und ich werde es immer wieder neu verstehen müssen.

Was ich nicht ändern kann, sind die Gedanken anderer. Sie sind nicht in meiner Verfügungsgewalt. Gleichzeitig sind sie aber auch nicht meine Verantwortung. Mit dem Fakt, dass ich sie nicht ändern kann, muss ich leben. Trotzdem kann ich, wenn mir etwas auffällt, immer das Gespräch suchen und transparent sein. Ein Stück weit Verantwortung beanspruchen. Das muss mir genügen.

Aber ich glaube, je mehr ich lerne, in Gott verwurzelt zu sein und mir meiner Identität bewusst zu werden, desto weniger gefährlich sind die Gedanken anderer und desto weniger anfällig bin ich für die Angst, dass irgendwann alle Menschen einen Bogen um mich machen. 


Dieser Text von Marie Wandelt wurde ursprünglich auf keineinsamerbaum.org veröffentlicht.