03.09.2023 / Wort zum Tag

Die Frage an Gott

So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrlichen Wohnung! Wo ist nun dein Eifer und deine Macht?

Jesaja 63,15

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Es liegt schon einige Jahre zurück. Ich war unterwegs zum Weihnachtsgottesdienst. Auf der Hinfahrt wurde im Radio gemeldet: schweres Seebeben, irgendwo in Asien, 3.000 Tote, dazu schlimme Verwüstungen im Land. Als ich nach dem Gottesdienst nach Hause fuhr, war die Zahl der Toten bereits um eine Null angestiegen: 30.000. Am Abend in den Nachrichten nochmals eine gigantische Steigerung, wohl mehr als 300.000 tote Menschen.

Umgehend klagte die BILD-Zeitung in gigantischen Lettern: „Gott – wo warst du?“ So haben damals Ungezählte gefragt, auch wenn viele unter ihnen so fromm nicht waren. Die Frage stand einfach im Raum, und viele haben sie gestellt: Gott – wo warst du? Warum bricht Elend über Menschen herein, die ohnehin nicht auf der Sonnenseite unserer Erdkugel leben?! „Gott- wo warst du? Wird nicht in der Bibel ungezählte Male von deiner Liebe berichtet?! Wo ist sie denn an jenem Tag geblieben?“

Diese Frage kriegen wir so schnell nicht unter die Füße. Sie brennt und rumort oft genug. Im Jesajabuch, Kapitel 63 klingt sie uns entgegen: „So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrlichen Wohnung! Wo ist nun dein Eifer und deine Macht?“

So klagen Menschen im alten Israel, die die Gefangenschaft in Babylon hinter sich haben. Endlich sind sie wieder daheim. Gott sei‘s gedankt!

So weit, so gut. Wenn nur das andere nicht wäre: Es geht im Land arm und kärglich zu. Zu wenig zum Leben, zum Sterben zu viel. Obendrein warten die Nachbarvölker nur auf Momente der Schwäche, um die Israeliten zu überfallen und sich das Land einzuverleiben.

Da verwundert es nicht, dass Fragen aufstehen: „Unser Gott, warum lässt du das zu? Warum müssen wir in tausend Ängsten leben? Wo ist dein Eifer und deine Macht? Du hast doch Möglichkeiten ohne Ende, uns zu helfen!“

Die Klagen klingen gleich – damals wie heute. Aber spüren Sie den Unterschied? Die Beter klagen Gott nicht an und ballen entrüstet die Faust. Nein, sie falten ihre Hände und beten zu dem Gott, den sie nicht verstehen. Sie reden nicht über ihn, sondern mit ihm - in ihren Gottesdiensten und in ihren Häusern, gemeinsam und allein: „So schau nun vom Himmel! Du siehst unsere bittere Lage. Greif ein und hilf uns!“.

Ich weiß nicht, von welchen Fragen Sie derzeit umgetrieben werden, was Ihnen momentan auf der Seele liegt und was Sie noch nicht unter Ihre Füße gekriegt haben. Manchmal antwortet Gott so, dass er nicht unsere Fragen beantwortet, sondern uns dahinführt, dass wir nach und nach aufhören, uns an diesen Fragen wundzureiben. Das Fragen wird leiser, das Beten intensiver. Dabei geht uns auf: Wir verstehen Gott nicht. Er ist uns oft rätselhaft. Aber wir vertrauen ihm. Er denkt sich was bei dem, was er tut. Was – das wissen wir nicht. Wir sind nicht Gott.

Autor/-in: Präses i. R. Dr. Christoph Morgner