28.02.2023 / Wort zum Tag

Die Chance des Lebens

Der Blinde rief: Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Die aber vornean gingen, fuhren ihn an, er sollte schweigen. Er aber schrie noch viel mehr: Du Sohn Davids, erbarme dich meiner!

Lukas 18,38–39

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Das ist die Chance meines Lebens, so wird der Blinde von Jericho damals gedacht haben. Jetzt oder nie!

Aber die Begleiter von Jesus sehen an der Not dieses Mannes vorbei. Blinde gab es damals überall. Was ist das schon Besonderes?

Und gleichzeitig galt bei vielen frommen Pharisäern der sog. Tun-Ergehens-Zusam­men­hang: Jedes Unglück hat seine Ursache in einer Sünde. Wenn der Mann blind ist, dann empfängt er gerade seine gerechte Strafe von Gott, da darf ich gar nicht eingreifen. So kann man sich fromm getarnt aus der Verantwortung stehlen.

Ganz besonders deutlich wird das an der Begegnung Jesu mit dem Blindgeborenen nach dem Johannesevangelium, Kapitel 9. Die damalige Logik: Wenn er schon blind geboren wurde, dann müssen doch die Eltern gesündigt haben, denn Gott ist ja gerecht. In der Geschichte streicht Jesus die Frage nach der Ursache radikal durch und nennt das Ziel: An ihm sollen die Werke Gottes offenbar werden (Joh 9,3).

Der Blinde in unserem Bericht hält sich nicht an das Redeverbot. Umso dringlicher ruft er. Und er benutzt zweimal eine Anrede, die eigentlich dem zukünftigen Messias vorbehalten ist: Sohn Davids. Das AT betont immer wieder, dass Heilung von Taubheit und Blindheit zur messianischen Zeit gehören, z.B. Buch Jesaja, Kapitel 29, Vers 18: Zu der Zeit werden die Tauben hören die Worte des Buches, und die Augen der Blinden werden aus Dunkel und Finsternis sehen. Oder Jesaja, Kapitel 35, Vers 5: Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der tauben geöffnet.

Taubheit und Blindheit sind in der Bibel manchmal doppeldeutig gemeint: Einmal körperlich im wörtlichen Sinn, aber auch im übertragenen Sinn für das Hören auf Gott und das Sehen und Erkennen seines Handelns.

Jesus verweigert sich dem Blinden nicht, wie es seine Begleiter tun. Er lässt ihn zu sich herankommen. Dieser Zug der Geschichte erinnert mich stark an die Begebenheit, bei der Jesus am Ende die Kinder segnet. Auch da sind es seine Begleiter, die Menschen abwimmeln wollen. Und auch dort hat Jesus ein besonderes Auge für die Bedürfnisse der Menschen.

Er bleibt stehen, lässt den Blinden rufen – und heilt ihn. Am Ende der Geschichte wird uns dann erzählt, dass dieser Blinde wie ein Jünger Jesus nachfolgt.

Auch das könnte eine tiefere symbolische Bedeutung haben. Denn in allen drei Evangelien, in denen uns diese Geschichte aus Jericho berichtet wird, geschieht sie dicht vor seinem Einzug in Jerusalem. Und dort sind gerade diejenigen wirklich blind, die zwar körperlich sehen können, aber nicht erkennen und wahrhaben wollen, was da geschieht: Die frommen Pharisäer.

Das war eine sehr fromme Laienbewegung, die es besonders ernst mit dem mosaischen Gesetz und den Geboten hielt, etwas spitz gesagt: Sie ähneln in ihrer Denkstruktur manchen Evangelikalen von heute. Ihre Tragik: Sie glauben, Gott besonders treu zu dienen, sie glauben, seinen Willen und seine Pläne gut zu kennen – aber im entscheidenden Moment sind sie blind und gefangen in ihrem selbstgebauten theologischen System, z.B. in ihren Endzeitvorstellungen. Da passt dieser konkrete Jesus irgendwie nicht hinein.

Bemerkenswert: Jesus sagt dem geheilten Blinden am Ende: Dein Glaube hat dir geholfen. Ich kann auch übersetzen: Dein Vertrauen hat dich gerettet. Das allein gilt. Kein Glaubensbekenntnis, keine noch so gut und biblisch durchdachte Theologie, sondern das schlichte Vertrauen auf Jesus. Darauf kommt es an. Das reicht. Wie gut!

Autor/-in: Pastor Wolfgang Buck