16.10.2020 / Wort zum Tag

Der Klassenlehrer schlummert nicht

Siehe, der Hüter Israels schläft noch schlummert nicht.

Psalm 121,4

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Mein Klassenlehrer damals war ein sehr respektierter Lehrer. Folgende Erinnerung kann das vielleicht verdeutlichen: Wir waren damals auf Klassenreise.

Natürlich waren wir schon längst zum Schlafen geschickt worden, aber wir waren nicht auf unseren Zimmern. Wir vier Jungs, die wir ewig zusammenhingen, waren drüben bei den Mädels. Es war zwar stockfinster, aber so als 13-Jähriger ahnte man die Schönheit der Mädels auch im Dunkeln.

Dann allerdings kam der Klassenlehrer herein, der es geschafft hatte, sich anzupirschen, ohne dass wir was davon mitbekamen. Wobei ich mit stolzgeschwellter Brust verkünden möchte: Als einziger von uns vieren schaffte ich es noch, unter eines der Betten zu kriechen, ohne dass ich dabei ertappt wurde. Die anderen drei wurden in flagranti erwischt und abtransportiert und vermutlich vom Lehrer zur Strafe in den Schlaf gesungen.

Und eines kann ich Ihnen sagen: Es ist ein kolossaler Unterschied, ob man als 13-Jähriger zusammen mit drei anderen Jungs auf einem Mädels-Achterzimmer zu Gast ist – oder ob man dort, nach einer kurzen, handfesten Säuberungsaktion des Klassenlehrers, auf einmal ganz alleine unter einem der Betten liegt. Sie glauben ja wohl im Ernst nicht, dass sich dann noch eine der Angebeteten für Sie interessiert.

Nach einer gefühlten Ewigkeit traute ich mich aus meinem Gefängnis zwischen Lattenrost und Fußboden wieder heraus. Ich huschte aus dem Zimmer heraus und wollte gerade schräg gegenüber in mein eigenes Zimmer hinein – da blickte ich den Gang entlang, und dort, am Ende des Ganges, saß er: der Hüter der Nacht, mit einer Tasse Tee bewaffnet – mein Klassenlehrer. Er sagte nichts, er schaute mich nur an.

Ich ging in mein Bett, schlief sofort ein und habe bis heute keinen Ärger bekommen. Seitdem aber hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt: Klassenfahrt heißt, egal zu welcher nächtlichen Zeit ich auf den Gang hinaustrete – mein Klassenlehrer sitzt dort und hat ein Auge auf mich.

Ich musste an diese Geschichte denken, als ich mich mit Psalm 121,4 auseinandersetzte. Da heißt es: Siehe, der Hüter Israels schläft und schlummert nicht.

Zwei wertvolle Gedanken hierzu, analog zu meiner Einstiegsgeschichte: Dass der Hüter Israels, dass also Gott-Jahwe nicht schläft und nicht schlummert, hat sein Gutes und etwas Kritisches.

Zuerst das Gute: Sie sind bewacht; Sie sind umsorgt; Gott eilt Ihnen zu Hilfe, wenn Sie Hilfe benötigen; Gott bemerkt, wie es Ihnen geht; Sie sind nicht allein; Ihr Eingang und Ihr Ausgang sind behütet, so heißt es im achten Vers von Psalm 121.

Und nun das Kritische: Es wird hingeschaut, was Sie tun; und der, der Himmel und Erde gemacht hat, der hat einen moralischen und einen sozialen und einen politischen Anspruch an Sie.

Der hat als Hüter eben die gesamte Herde im Blick, als Schöpfer des Lebens alle Menschen – er hütet jegliche Kreatur, und daher hat er auch einen Anspruch auf mich und auf Sie, denn wir sind beides zugleich: sein Augapfel; und nicht das Zentrum des Universums.

Siehe – der Hüter Israels schläft und schlummert nicht.

Er ist für Sie da, er wacht über Ihnen. Und er wünscht sich, dass Sie bestmöglich in seine Sicht hineinwachsen und aus seinem Blickwinkel heraus Ihr Leben, diese Welt und alle ihre Begegnungen betrachten.

In diesem Sinne – machen Sie was draus!

Autor/-in: Martin Scott