31.07.2024 / Bibel heute

Das Gleichnis vom Senfkorn

Und er sprach: Womit wollen wir das Reich Gottes vergleichen, und durch welches Gleichnis wollen wir es abbilden? Es ist wie mit einem Senfkorn: Wenn das gesät wird aufs Land, so ist’s das kleinste unter allen Samenkörnern auf Erden; und wenn es gesät ist, so geht es auf und wird größer als alle Kräuter und treibt große Zweige, sodass die Vögel unter dem Himmel unter seinem Schatten wohnen können.[...]

Markus 4,30–34

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Ich mochte zu meiner Schulzeit jene Lehrer, die auch komplizierte Sachverhalte anschaulich und spannend erklären konnten. Unvergesslich bleibt mir, wie unser Geschichtslehrer früh morgens feierlich und zugleich ernst verkündete: „Heute machen wir eine Sonderseite. In dieser Nacht ist in unserer deutschen Geschichte etwas ausgesprochen Bedeutungsvolles geschehen. Die Mauer ist gefallen.“ Und dann begann er wieder einmal leidenschaftlich und voller Begeisterung zu erzählen. Man hätte eine Stecknadel im Klassenraum fallen hören können.

Szenenwechsel: Ich stelle mir vor, wie Jesus unter einem Olivenbaum sitzt. Umringt von seinen Jüngern und einigen weiteren Zuhörern. Sie sind neugierig. Wollen hören, was er sagt. Sie erleben ihn als guten Lehrer. Er kann anschaulich erzählen und erklären. Selbst Kinder verstehen, was er sagt.

Und Jesus? Er überlegt: „Wie kann ich das Reich Gottes noch beschreiben? Womit könnte ich es vergleichen?“ - Ganz offensichtlich ringt er darum, die gute Nachricht gut verständlich zu machen. Es ist ja sein großes Lebensthema. Die große Überschrift, unter der sich sein Kommen, seine Aufgabe in dieser Welt, zusammenfassen lässt: Das Reich Gottes. Die Königsherrschaft Gottes, die mit dem Kommen des Messias sehnlich erwartet wurde. Hatte nicht erst vor kurzem Johannes der Täufer von dem nahenden Reich Gottes gesprochen? – Jesus lüftet nun Stück für Stück das Geheimnis um dieses Reich. Er tut es nicht hochtrabend theologisch. Oder abstrakt. Nein, ganz simpel. Anhand eines alltäglichen, winzig kleinen Senfkorns.

Dieser Vergleich musste seine Zuhörer aufhorchen lassen. Erwarteten sie doch, dass mit dem Kommen des Messias das Reich Gottes öffentlich und für alle sichtbar beginnt. Dass die Herrschaft der Römer endlich gebrochen wird. Dass Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Leid endlich überwunden sind. Da sagt Jesus: Das Reich Gottes ist wie ein Senfkorn. Mit dem bloßen Auge und seiner stattlichen Größe von einem Millimeter kaum sichtbar?! – „Ja“, sagt Jesus. „So ist es!“

Das Reich Gottes ist wie ein Senfkorn.

Mit Senfkörnern kennen sich seine Zuhörer aus. Ist doch gerade Galiläa ein bevorzugtes Anbaugebiet für Senfpflanzen. Die kleinen Samen müssen sorgsam behandelt werden. Nur an windstillen Tagen können sie ausgesät werden. Sonst trägt sie der Wind davon. Sobald sie aber in der Erde ihren sicheren Platz gefunden haben, dauert es nicht lange, bis sie anfangen zu keimen. Wenn das Reich Gottes nun also klein und unscheinbar beginnt, erfordert es ein genaues Hinsehen. Vielleicht beginnt es just in diesem Moment - unter dem Olivenbaum mit Jesus. Oder gerade jetzt mit dieser Radio-Andacht. Es beginnt dort, wo immer die Worte von Jesus in ein Herz fallen. Vielleicht ist es mitunter nur eine Ahnung, dass es eine höhere Macht zwischen Himmel und Erde gibt. Das Reich Gottes beginnt, wo sich jemand sehnsüchtig danach ausstreckt. Und sein Herz vorsichtig dafür öffnet. Ein kleiner Gedanke, ein Wort, ein Anstoß. Unspektakulär und verborgen. Ganz schlicht in aller Stille. Das Reich Gottes beginnt klein und unscheinbar.

Drei Jahre seines Lebens teilt der Messias sein Leben mit 12 Jüngern. Es sind Menschen wie Sie und ich. Ihre Herzen sind offen. Sie erleben, was er sagt und tut. Sie beginnen zu verstehen. Spüren: es ist die Wahrheit. Und sie lassen sich auf das Abenteuer ein. Sie folgen Jesus. Tragen selbst die gute Nachricht vom anbrechenden Reich Gottes weiter. Sie erleben, wie Menschen die Wahrheit entdecken. Geheilt werden. Frei werden. Und mit ihnen gemeinsam Jesus nachfolgen wollen. Die gute Nachricht zieht Kreise. Das Reich Gottes ist lebendig und wächst. Etwa so, wie Senfkörner, die schon nach wenigen Tagen in der Erde anfangen zu keimen. Bald schon sind erste, zarte Pflänzchen an der Erdoberfläche zu sehen, die sich nach und nach zu kräftigen Pflanzen entwickeln.

Das Reich Gottes ist lebendig und wächst. Manchmal ganz offensichtlich in aller Freiheit. Dann dürfen wir miterleben, wie Suchende ihr Leben bei Jesus festmachen. Manchmal auch im Verborgenen. Vielleicht sogar im Untergrund unter schwierigen Bedingungen. Oft aber gerade dort besonders lebendig und kraftvoll. Das Reich Gottes ist lebendig und wächst!

Senfpflanzen wachsen innerhalb eines halben Jahres zu einer Staude mit über 2 Metern heran. Aus einem winzigen Samenkorn entsteht ein erstaunliches Gewächs mit langen Zweigen. Was für eine Kraft. Was für eine Dynamik. Es wird so groß, dass sogar Vögel darin Zuflucht finden können. – So ist das Reich Gottes: die Anfänge mögen klein, unscheinbar, mitunter sogar kläglich sein. Sie mögen dauern. Weil Wachstum Zeit braucht. Doch am Ende wird das Wunder sichtbar. Ob die Jünger die Tragweite dieses Gleichnisses erahnen?

Ich stelle mir vor, wie spätestens mit Karfreitag jede Hoffnung in ihnen erloschen ist. Aus der Traum vom schillernden Reich Gottes. Vorbei die Kraft und Vollmacht, in der Jesus mit ihnen unterwegs war. – Wirklich? Vorbei? – Mitnichten. Die Auferstehung ihres Messias am Ostermorgen stellt alles in den Schatten. Sie öffnet ihnen eine unfassbare Perspektive. Das Reich Gottes ist Realität. Und Pfingsten der beste Beweis. Was klein und unscheinbar begonnen hat, ist lebendig und wächst. 3.000 Menschen finden in Jerusalem zum Glauben an Jesus. Es ist die Initialzündung für eine weltweite Gemeinde. Das Reich Gottes zeigt erstaunliche Auswirkungen – und wächst bis heute! Lassen Sie uns gemeinsam dazu beitragen. So unbeirrt, wie jener Junge, der am Strand Tausende von Seesternen vorfindet. Behutsam nimmt er Stern für Stern und wirft sie ins Meer zurück. Ein Spaziergänger beobachtet ihn: „Ha, das ist ja lächerlich, was du da tust. Das bringt doch nichts!“ Der Junge schaut ihn kurz an. Während er sich nach einem weiteren Seestern bückt, antwortet er dem Spaziergänger: „Für diesen einen Seestern macht es aber einen großen Unterschied! Für ihn bedeutet es Leben!“

Autor/-in: Hanna Exner