20.07.2012 / Wort zum Tag

Daniel 6,11

Daniel hatte an seinem Obergemach offene Fenster nach Jerusalem, und er fiel dreimal am Tag auf seine Knie, betete, lobte und dankte seinem Gott.

Daniel 6,11

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Mit mehreren Bussen waren wir unterwegs Richtung Marrakesch. Es ging quer durch die marokkanische Wüste. Das Reisebüro hatte einen Reservebus mitgeschickt, falls es unterwegs eine Panne geben sollte. Das war eine kluge Entscheidung. Denn tatsächlich blieb einer der Busse auf der Rückfahrt liegen. Der Reservebus war allerdings keine wirkliche Hilfe. Er hatte die Rückfahrt von Marrakesch als erstes angetreten … Doch das ist eine andere Geschichte. Ich möchte Ihnen diese kleine Episode erzählen. Denn der Fahrer dieses ausgefallenen Busses machte nicht etwa als erstes die Motorhaube auf. Nein, er holte sich seinen kleinen Gebetsteppich, kniete sich neben den Bus Richtung Mekka und begann zu beten.

Die anderen im Bus, deutsche Touristen, Christen zumeist, waren amüsiert und irritiert. Was bedeutet denn das, wenn ein Busfahrer betet? Ist das nicht ein Zeichen dafür, dass die Lage ausgesprochen hoffnungslos ist? Oder bedeutet es etwas anderes? Nämlich, dass nichts so sehr hilft wie beten. Hat dieser Muslim den Christen damit nicht ungewollt eine kleine Lektion erteilt?

Eine andere Geschichte. Ein Freund von mir berät Regierungen in aller Welt in Sachen Medien und Kommunikation. Vor einiger Zeit war er in Indonesien und stellte fest: Sobald der Muezzin vom Minarett zu singen begann, unterbrachen seine Gesprächspartner ihre Arbeit und widmeten sich dem Gebet. Ein Freund sagte später zu einem seiner indonesischen Gesprächspartner: „Ich wollte, das wäre bei uns Christen auch so.“ Worauf der Indonesier verschmitzt antwortete: „Ich bin froh, dass es nicht so ist. Wer weiß, welche Kraft ihr dann auf einmal bekommen würdet.“

Die Losung des heutigen Tages erzählt von Daniel. „Daniel, der Jude, hatte“, so heißt es in diesem Vers, „an seinem Obergemach offene Fenster nach Jerusalem. Und er fiel dreimal am Tag auf seine Knie, betete, lobte und dankte seinem Gott.

Fromme Juden halten es bis heute wie fromme Muslime. Gebete sind ein fester Bestandteil des Alltags. Bei den Juden ist das Gebet an die Stelle des Opferdienstes im Tempel getreten. Sie nennen das Gebet zuweilen: „Lobopfer mit den Lippen“.

Ich finde, viele von uns Christen können davon eine Menge lernen. Es hilft, regelmäßige Zeiten für das Gebet zu reservieren. Für den stillen Umgang mit Gott. Beim Aufstehen zum Beispiel. Beim Zubettgehen. Zum Beginn der Mahlzeiten. Klar, solche Gebetsübungen können zu leeren Ritualen verkommen. Doch vielleicht ist auch das richtig: Wer nicht regelmäßig betet, betet vielleicht irgendwann überhaupt nicht mehr.

Ich beginne meinen Tag in der Regel mit Luthers Morgensegen. Und ich schließe ihn in der Regel mit Luthers Abendsegen. Ich bete jeden Tag das Vaterunser. Ich bete zu Tisch. Und immer wieder erinnern mich die Glocken des nahen Kirchturms daran, meine Gedanken von aller irdischen Belanglosigkeit loszureißen und Richtung Himmel zu wenden.  Ich darf immer mit Gott reden – klar. Ich brauche dazu keine festen Gebetszeiten. Ich darf ihm alles sagen, was ich auf dem Herzen habe – klar. Ich brauche dazu keine vorformulierten Texte. Und doch ist beides oft eine große Hilfe gerade in Zeiten, in denen ich besonders beschäftigt bin, in denen ich besonders schwere Probleme zu bewältigen habe, in denen ich besonders schwach und angeschlagen bin. Dann nämlich kann ich erleben, dass feste Zeiten und feste Texte wie ein Sessellift sind, der meine Seele mitnimmt zu Gott, zu meinem Vater, der mich unendlich lieb hat und für den kein Problem meines Lebens unlösbar ist.

Autor/-in: Jürgen Werth