14.05.2020 / Reflexion

Corona und die Verschwörungstheorien

Dr. Kai Funkschmidt über vermeintliches Geheimwissen und wie man ihm begegnen kann.

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War die Mondlandung nur eine Fernsehshow? Haben die CIA John F. Kennedy auf dem Gewissen und die Juden das World Trade Center? Ein Blick ins Internet fördert hunderte weitere von Verschwörungstheorien. Und gerade jetzt in Zeiten von Corona hat vermeintliches Geheimwissen Hochkonjunktur. Oliver Jeske hat mit Dr. Kai Funkschmidt von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen über das Phänomen Verschwörungstheorien gesprochen. Er sagt: „Jede Katastrophe ruft Verschwörungstheorien auf den Plan!“


Der Theologe wundert sich nicht, dass während der Corona-Krise die Meinungen, wer hier welche geheimen Interessen verfolgt, wie Pilze aus dem Boden schießen. Ist unsere Bundeskanzlerin durch geheime Mächte fremdbestimmt? Soll mit den Sicherheitsmaßnahmen eine neue Weltordnung etabliert werden? Funkschmidt rät jedem, der sich durch solche Botschaften verunsichert sieht, zu prüfen, ob obskure Theorien ihrem ganz normalen Alltagserleben standhalten. „Warum sind Leute, die angeblich die ganze Welt kontrollieren können, indem sie sich in irgendwelchen Hinterzimmern absprechen, nicht in der Lage, dich kleines Licht auszuschalten, der sie im Internet demaskiert? Das müsste doch für sie ein Leichtes sein!“
 

Jeder ist anfällig

Funkschmidt hat herausgefunden: Wir Menschen sind grundsätzlich anfällig für Verschwörungstheorien. Weil sie einfache Antworten auf komplexe Fragen bieten. Und weil sie mich freisprechen von der Verantwortung für mein eigenes Leben. „Ich mache die Erfahrung: In meinem Leben klappen die Dinge nicht, so wie ich mir das vorgestellt habe. Dafür brauche ich jetzt eine Erklärung.“ Sie könne darin liegen, dass ich schlicht nicht so leistungsfähig oder arbeitsam bin, wie ich es mir einbilde. „Das ist deutlich kränkender, als wenn ich mir sage, die Lehrer haben was gegen mich.“

Dieses Muster lasse sich auf jeden anderen Bereich des Lebens übertragen. Und so sind es auf einmal nicht nur die Lehrer, sondern die Politiker, die Medien, die Muslime oder die Juden. Sie sind an den aktuellen Problemen schuld, die mich bedrängen und an denen ich nichts ändern kann.

Gott das Unheil klagen

Als gläubiger Mensch sei man für dieses Denkschema weniger anfällig. „Weil man eher in der Lage ist, diese Unverfügbarkeit in unserem Glauben zu ertragen.“ Die Bibel sei voll von Menschen, die diese Erfahrungen machen. „Sie bewältigen sie nicht mit Verschwörungstheorien, sondern sie klagen das Unheil Gott und müssen deshalb nicht irgendjemandem die Schuld geben.“

Funkschmidt resümiert bezogen auf den Glauben: „Je weniger wir diese Ressource in unserer Gesellschaft und Kultur haben, desto mehr ist man geneigt, andere Schuldige zu suchen.“  Und zwar auch bei Ereignissen, für die nun wirklich niemand etwas kann. „Ich habe mich mein ganzes Leben lang gesund ernährt. Ich habe Sport getrieben, nicht geraucht und auch sonst nichts Schlimmes getan und trotzdem bekomme ich Krebs.“  

Und so ist auf einmal der Arzt schuld, der den schwerkranken über 90-jährigen Großvater nicht mehr retten konnte. Oder die 5g-Mobilfunk-Strahlung ist schuld an meinem Krebsleiden trotz meines gesunden Lebenswandels.

Christen haben da einen klaren Vorteil, meint Dr. Kai Funkschmidt: Weil sie in ihrem Gott eine Adresse für ihre Klage haben. „Diese Klage kann jede Form annehmen. Das wird mich entlasten.“ Wer andere Adressaten für Schuldzuweisungen suche, sei auf dem Weg weg von Gott. „Da können wir uns gegenseitig zur Ordnung rufen, denke ich, im Sinne einer geschwisterlichen Ermahnung.“

Autor/-in: Oliver Jeske

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