15.11.2022 / Glaube

Christliche Meditation für Anfänger

Was haben Atemübungen mit einer Gottesbegegnung zu tun?

Tief ein- und ausatmen. Ein- und ausatmen. Und noch einmal: ein- und ausatmen. Ich sitze auf dem Zimmerboden und versuche mich auf meine Atmung zu konzentrieren. Immer wieder lasse ich dabei meinen Blick durch den Raum schweifen und bleibe schließlich bei meinem Rock hängen, dessen Muster überhaupt nicht zu meinem Oberteil passt. Ich hätte heute Morgen mal lieber richtig in den Spiegel schauen sollen, denke ich mir.

Da fällt mir wieder ein, dass ich mich ja nur auf meine Atmung konzentrieren wollte. Also erneut: Tief ein- und ausatmen. Meine Hände habe ich auf meinen Oberschenkeln abgelegt: eine empfangende Haltung, so steht es zumindest in der Schritt für Schritt Anleitung für christliche Meditation.

Von den Psalmisten abgeschaut: Christliche Meditation dreht sich um das Wort Gottes

Christliche Meditation? Manch einer wird jetzt vielleicht kritisch die Augenbrauen hochziehen: Was ist denn bitte schön christlich am Meditieren? So erging es zumindest mir bisher: Das Wort Meditation lag gemeinsam mit den Begriffen Yoga und Esoterik irgendwo ganz weit unten in meiner pauschal benannten „Hokuspokus“-Schublade.

Doch dann stoße ich auf das Buch „Süßer als Honig, kostbarer als Gold“ von Jan Johnson. Darin erklärt die Autorin 40 verschiedene Übungen, die dabei helfen, über bestimmte Bibeltexte zu meditieren. Johnson betont dabei die lange Tradition des Meditierens im Christentum, die jedoch in den letzten Jahrhunderten vernachlässigt wurde. Durch die Fokussierung der Aufklärung auf das „Denken“, wird heute das Meditieren von vielen nur noch mit fernöstlichen Religionen, wie dem Hinduismus und dem Buddhismus, in Verbindung gebracht.

Doch kaum eine Sehnsucht ist derzeit so groß, wie die, zur Ruhe zu kommen, innezuhalten und loszulassen. All diese Bedürfnisse können beim Meditieren befriedigt werden. Dabei entsteht jedoch schnell und oft auch unbewusst eine Vermischung verschiedener religiöser Praktiken. Die Autorin Jan Johnson aber grenzt sich klar von fernöstlichen Religionen ab, indem sie sich daran orientiert, was auch schon in der Bibel praktiziert wurde.

Vorbilder sind ihr vor allem die Psalmisten: Diejenigen, die in den Psalmen immer wieder betonen, wie sie Tag und Nacht über Gottes Wort nachsinnen (vgl. Psalm 1,2). Denn genau das bedeutet das lateinische Wort meditatio: nachsinnen, nachdenken. Das intensive Nachsinnen ist für Johnson eine christliche Praxis, sobald der Gegenstand der Meditation das Wort Gottes ist.

Es geht nicht darum, den Verstand zu verlieren

Einen Bibeltext in das Zentrum der Meditation zu stellen, schließt jedoch nach Johnson Atem- und Konzentrationsübungen nicht aus, sondern sie seien sogar Voraussetzung dafür. Der Unterschied zu fernöstlichen Traditionen ist das Ziel der Körperwahrnehmung.

Denn es geht darum die Gedanken von der Geschäftigkeit, dem normalen Alltagstempo wegzulenken und im Moment gegenwärtig zu sein; nicht darum, den Verstand abzuschalten und in eine andere Sphäre abzutauchen.

Dieser Einstieg bereitet auf Gottes Reden vor. Oder anders ausgedrückt: Dem Wort Gottes wird durch das Bewusst-Sein der Gegenwart überhaupt erst Raum gegeben. Als zweiten Schritt schlägt Jan Johnson vor, einen Abschnitt aus der Bibel zu lesen. Dieser sollte wiederholt betrachtet werden, um dann im letzten Teil in der Stille wahrzunehmen, was Gott dazu sagt.

Bei der biblischen Meditation geht es also zusammengefasst um das Loslassen eigener Gedanken und das Sich-Öffnen für Gottes Wahrheit. Diese Methode wird bereits seit dem 5. Jahrhundert praktiziert und heißt lectio divina, „göttliches Lesen“.

Bleiben Sie nicht bei sich selbst stehen

Nach dieser Definition von christlicher Meditation ist also die Frage nach der Motivation ausschlaggebend: Geht es lediglich darum, der Welt zu entfliehen, sich besser zu fühlen, leistungsfähiger oder gesünder zu werden? Oder wünscht man sich eine intensive Gottesbegegnung?

Natürlich kann es auch bei letzterem ein netter Nebeneffekt sein, sich erholter und ausgeglichener zu fühlen. Aber es sollte niemals die Hauptmotivation sein.

Außerdem sollte Gott nicht mit einer Energiequelle verwechselt werden, die herbeibeschwört werden muss. Denn Gott ist da!

Ob wir Innehalten oder nicht ändert nichts an seiner Gegenwart. Doch das Innehalten lässt ihn uns besser kennenlernen und dabei werden wir automatisch niemals leer ausgehen, sondern von seiner Wahrheit und Liebe erfüllt. Das wahrzunehmen erfordert selbstverständlich Übung und Zeit. Denn nicht alles, was einem während dieser Zeit durch den Kopf schwirrt, sind Gottes Gedanken, sondern sollte anhand der Bibel geprüft werden.

Finden Sie Ihre Art, Gottes Stimme wahrzunehmen

Mein persönlicher Weg zu Gott ging bisher nicht über das Meditieren. Ohne Anleitung wäre es wohl an diesem Nachmittag auch nicht zu einer Gottesbegegnung gekommen, sondern ich wäre gedanklich bei meinem Outfit hängen geblieben. Diese Ichbezogenheit abzulegen war auch trotz Anleitung sehr schwer.

Nach einer halben Stunde Meditation über Epheser 1,3-14 hatte ich dennoch tolle Erkenntnisse über Gottes Freude. Doch ich bin davon überzeugt, dass ich Gott ähnlich begegnen kann, wenn ich durch die Natur spaziere und ihn einlade, mit mir zu sprechen. Andere wiederum sind zugänglich für Gottes Stimme während des Fastens oder in liturgischen Gebetszeiten: Egal wie, die Hauptsache ist, dass eine Zeit gibt, in der Gottes Stimme wahrgenommen werden kann. Und diese Zeit sieht bei jedem anders aus.

Nach meiner ersten biblischen Meditationsübung fühlen sich meine Schultern ziemlich befreit an, meine Schulterblätter knacksen nicht mehr bei jeder Bewegung und ich habe das Gefühl aufrechter zu sitzen. Aber mein physisches Wohlbefinden war nicht der Grund, warum ich an diesem Nachmittag still auf dem Boden saß. Ich habe mir diese Zeit genommen, um genau solche Bedürfnisse und Wünsche loszulassen und stattdessen Gott die Kontrolle zu übergeben.
 

Autor/-in: Annabel Breitkreuz

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