25.11.2020 / Interview

Bremer Pastor Olaf Latzel wegen Volksverhetzung verurteilt

Verteidigung spricht von „Katastrophe“, Staatsanwaltschaft prüft Einlegen von Rechtsmitteln.

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Bundesweit sorgte der Prozess gegen den Bremer Pastor Olaf Latzel für Aufsehen: Der evangelische Pastor stand wegen „Volksverhetzung“ vor Gericht. Der Angeklagte soll sich in einem Eheseminar über Genderpolitik und Homosexuelle in einer Weise geäußert haben, die den Tatbestand der „Volksverhetzung“ erfüllt und dies online stellen ließ.

Heute Morgen, Mittwoch, 25. November 2020, verkündete das Amtsgericht Bremen das Urteil: Der Angeklagte wird schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt, die zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen à 90 Euro umgewandelt wurde. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert. Regina König hat für ERF Medien den Prozess beobachtet und war zum Prozessauftakt am 20. November auch vor Ort.
 

ERF: Regina, wie begründet die Richterin ihr Urteil?

Regina König: Die Vorsitzende Richterin Ellen Best begründet ihr Urteil mit der Aussage, dass Olaf Latzel zum „Hass gegen Homosexuelle“ aufgestachelt habe, indem er das «Eheseminar» auf seinem Youtube-Kanal online stellen ließ. In diesem Eheseminar hat er Homosexualität als „Degenerationsform der Gesellschaft“ bezeichnet und gesagt: „Überall laufen die Verbrecher rum vom Christopher-Street-Day“.

Das sei Stimmungsmache, so die Richterin. Dass der Angeklagte aus Sicht der Bibel Homosexualität verurteilt, blieb für die Richterin irrelevant: „Die sexuelle Ausrichtung eines Menschen macht einen Teil seiner Persönlichkeit aus.» Daran ändere auch der Hinweis auf die Bibel nichts, so die Richterin. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Freiheitsstrafe von vier Monaten gefordert. Damit bleibt das Gericht unter der Forderung der Staatsanwaltschaft.

Strafverteidigung: Urteil ist „Einfallstor zur Beschränkung der Meinungsfreiheit“

ERF: Die Strafverteidigung hat den Vorwurf erhoben, dies sei ein politischer Prozess. Warum?

Regina König: Olaf Latzels Pflichtverteidiger, der Hamburger Anwalt Sascha Böttner, sagte am 1. Verhandlungstag, in Wahrheit ginge es nur darum, Olaf Latzel als umstrittenen evangelikalen Pastor aus der Bremischen Kirche zu entfernen. Die Strafverteidigung warf auch der Staatsanwaltschaft vor, die Öffentlichkeit manipulieren zu wollen mit falschen Behauptungen gegenüber der Presse. Dazu muss man bedenken: Latzel ist zwar eigentlich nur ein ganz normaler Gemeindepfarrer in Bremen, aber trotzdem bundesweit bekannt durch seine Vortragstätigkeit und seinen Youtube-Kanal.
 

Beschmierte Kirchenmauer der St.-Martini Gemeinde Bremen. Foto: Regina König / ERF Medien

Besonders in der wert-konservativen christlichen Szene hat er viele Fans und Unterstützer, die sich seit Erhebung der Anklage fragen: Steht meine Meinungs- und Religionsfreiheit auf dem Spiel, wenn es um die Ablehnung gelebter Homosexualität geht? Und mit genauso großer Aufmerksamkeit wird dieses Urteil bundesweit in der Genderszene wahrgenommen, dort mit der Frage:

Wann enden Meinungs- und Religionsfreiheit zugunsten der Rechte Homosexueller? Am ersten Prozesstag vergangenen Freitag erklärte der Strafverteidiger, falls es zu einer Verurteilung seines Mandanten komme, habe sich seiner Meinung nach die Richterin mit ihrem Urteil dem Druck der Öffentlichkeit gebeugt.


ERF: Was hat die Verteidigung jetzt vor?

Regina König: Strafverteidiger Böttner spricht von einer „Katastrophe“ und sieht in dem Urteil ein „Einfallstor zur Beschränkung der Meinungsfreiheit“. Er kritisierte weiter, dass das Gericht keine Teilnehmenden aus dem Eheseminar als Zeugen geladen hatte. Jetzt prüft die Verteidigung, ob sie Berufung oder Revision einlegen wird. Auch die Staatsanwaltschaft prüft, ob sie Rechtsmittel einlegt, schließlich ist die Richterin mit ihrem Urteil am untersten Rand des gesetzlichen Rahmens geblieben.

Kirchenvorstandsvorsitzender spricht von „Skandalurteil“

ERF: Olaf Latzel ist Pastor der evangelischen St. Martini-Gemeinde in der Bremer Innenstadt. Wie reagiert die Gemeinde auf die Verurteilung ihres Pastors?

Regina König: Die Gemeinde betont immer wieder, dass sie zu 100 Prozent hinter Olaf Latzel steht. Kurz nach der Urteilsverkündung habe ich mit dem Vorsitzenden des Kirchenvorstandes der Bremer St. Martini-Gemeinde, Dr. Jürgen Fischer, telefoniert. Er spricht von einem Skandalurteil, weil die Richterin „nur die Punkte der Staatsanwaltschaft“ aufgriffen habe und gleichzeitig „so gut wie gar nicht auf die Verteidigung eingegangen“ sei und dass offenbar die Staatsanwaltschaft Christen „vorschreiben“ wolle, „wie Christen zu glauben haben“ und nennt „diese Vorgänge erschreckend“. Die Gemeinde geht davon aus, dass ihr Pastor Berufung einlegen wird.


ERF: Die St. Martini-Gemeinde gehört zur Bremischen Evangelischen Kirche. Was sagt die Kirchenleitung dazu, dass einer ihrer Pfarrer wegen Volksverhetzung verurteilt wurde?

Regina König: Vertreter der Kirchenleitung hatten sich schon lange vor Prozessbeginn deutlich vom Pastor und Mitglied ihrer Landeskirche Olaf Latzel distanziert und ein Disziplinarverfahren eingeleitet, das allerdings bis zur Urteilsverkündung ruhte und wohl auch weiter ruhen wird. Denn das Urteil, das jetzt das Bremer Amtsgericht gesprochen hat, ist noch nicht rechtsgültig, da noch Berufung eingelegt werden kann.

Für ein Interview stand bis Redaktionsschluss dieses Artikels niemand seitens der Bremischen Kirche für ERF Medien zur Verfügung. Gegenüber dem Evangelischen Pressedienst sagte der leitende Theologe Bernd Kuschnerus, er sei «zutiefst betroffen, dass ein Pastor unserer Kirche wegen Volksverhetzung verurteilt worden ist». Die Äußerungen, die dem Urteil zugrunde lägen, seien nicht hinnehmbar und schadeten dem Ansehen der Kirche.
 

ERF: Regina, du hast die Causa Latzel mitverfolgt und warst auch beim ersten Verhandlungstag am Freitag mit im Gerichtssaal. Wie empfindest du das Urteil?

Regina König: Zunächst muss ich sagen, dass ich mich persönlich sehr stoße an der derben und zuweilen beleidigenden Ausdrucksweise des Pastors, und doch wundere ich mich, dass es tatsächlich zu einer Verurteilung gekommen ist.

Denn: wer der Volksverhetzung schuldig gesprochen wird, muss bewusst seine Aussagen einer großen Öffentlichkeit zur Verfügung stellen, was nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Olaf Latzel getan hat, indem er das Eheseminar auf seinem Youtube-Kanal veröffentlichen ließ. Allerdings hat er das Seminar im Oktober 2019 gehalten, und online gestellt wurde es erst ein halbes Jahr später.

Olaf Latzel sagte vor Gericht aus, er habe zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gewusst, was er damals im Einzelnen gesagt habe. Anders als die Richterin glaube ich ihm das. Die Strafverteidigung hatte außerdem betont, dass in diesem Seminar an keiner Stelle generalisierend Homosexuelle beleidigt worden sind. Die Richterin hat das anders beurteilt.

Zunächst muss ich sagen, dass ich mich persönlich sehr stoße an der derben und zuweilen beleidigenden Ausdrucksweise des Pastors, und doch wundere ich mich, dass es tatsächlich zu einer Verurteilung gekommen ist.

Es kommt auf die Wortwahl an

ERF: Würdest du auch von einer allgemeinen Einschränkung der Verkündigung sprechen, die durch dieses Urteil droht?

Regina König: Ich interpretiere dieses Urteil nicht so, dass sich grundsätzlich Christen oder auch Muslime, die gelebte Homosexualität ablehnen, dazu nicht mehr öffentlich äußern dürfen. Es kommt auf die Wortwahl an. Pastor Olaf Latzel hat im Prozess immer wieder betont: auch Homosexuelle sind seine Nächsten und er wolle niemanden beleidigen.

Vielleicht nimmt er diese seine eigenen Worte fortan ernster als zuvor. Denn Christen und vor allem Pastoren haben gerade in der Verkündigung eine hohe Verantwortung und zu der gehört auch ein angemessen sachlicher Ton, gerade wenn gesellschaftliche Strömungen kritisch betrachtet werden.

ERF: Vielen Dank für die Einschätzung.

Autor/-in: Regina König

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