16.11.2016 / Interview

„Bitte langsamer, Gott“

Das Leben ist ein permanentes Loslassen und „Gott lassen“, so die Österreicherin Maria Prean im Interview.

Regelmäßig sollte man sich im Leben die Frage stellen: Wie geht es weiter? Welche Ziele will ich erreichen? Maria Prean, Gründerin des Vereins „Vision für Afrika“, erzählt im Gespräch mit ERF Medien, wie sie mit 60 Jahren im Vertrauen auf Gott den Aufbruch in ein neues Lebensumfeld wagte und dort ihre Heimat fand.

ERF: Sie haben als Seniorin Österreich verlassen, um ein neues Projekt in Uganda zu starten. Andere Menschen in diesem Alter denken an Ruhestand und an ein wohlverdientes gemütliches Leben, denn „einen alten Baum soll man nicht verpflanzen“. Was hat Sie zu der Veränderung angestoßen?

Maria Prean: Das ist eine komplizierte Frage. Denn ich hatte keinerlei Absichten, dies zu tun. Vielmehr wurde ich Schritt für Schritt geführt. Ein Missionar aus Uganda folgte der Einladung meiner Freunde, sich in unserem Missionswerk „Leben in Jesus Christus“ in Tirol zu erholen. Dieser lud mich immer wieder ein, nach Afrika zu kommen. Letztendlich folgte ich dieser Einladung und flog nach Uganda.

Für mich war diese Reise eine überwältigende Erfahrung. Ich war zum ersten Mal selbst im Innern Afrikas, den Norden kannte ich schon vorher. Das Flugzeug kam erst nach Mitternacht an, nach einer sich anschließenden zweistündigen Autofahrt erreichten wir unseren Aufenthaltsort. Als ich in mein Zimmer zurückzog, um mit Gott zu reden, hatte ich einen Kulturschock. Ich sah mich innerlich vor einem riesigen Betongebäude ohne Fenster, ohne Türen und ohne Kamin. Ein riesiger Betonblock, so kam mir Afrika vor.

Ich lag die ganze Nacht im Halbschlaf aber in den frühen Morgenstunden sah ich, wie sich der ganze Block in Staub auflöste. Da wusste ich, dass Gott etwas gemacht hatte. Im Sonnenschein ging ich dann hinaus, sah diese wunderbaren Gesichter und empfand eine so überwältigende Liebe für die Menschen und das Land, wie noch nie zuvor in meinem Leben. Ich glaube, das war schon ein Teil meiner Berufung.

„Meine Familie hat Recht: Mit 60 Jahren fangen anscheinend die Krankheiten an.“

ERF: Wie ging es weiter?

Maria Prean: Mir war klar: Gott hat etwas Großes vor zwischen Afrika und Europa. In Bildern zeigte er mir, wie eine Brücke zwischen Europa und Afrika entsteht. Ich teilte meine Geschichte mit den Afrikanern und sie waren voller Begeisterung. Doch das dies für mich bedeuten würde, auch in Uganda zu leben, hatte ich noch nicht begriffen. Ich sah mich immer nur in einer Mittlerrolle: Ich würde in Europa leben und einerseits die Afrikaner bei mir empfangen und andererseits die Menschen segnen, die als Missionare oder für Einsätze selbst nach Afrika gehen.

In den folgenden sechs Jahren bin ich zwischen Europa und Afrika nur gependelt, um bei sehr vielen Konferenzen zu lehren. Dann fragte mich Gott, ob ich ihm vertraue, dass er mir alles gäbe, was ich für 1000 arme Kinder brauche, damit sie zur Schule gehen können und versorgt bleiben. Ich antwortete, dass das eine große Herausforderung sei für den Anfang, aber dass ich bereit sei, ihm zu vertrauen. Innerhalb von acht Monaten hatten wir Patenschaften für 1000 Kinder — und ich hatte angenommen, diese Arbeit sei ein Lebenswerk. Gott ist ein Gott, der nur unseren Gehorsam braucht, den Rest macht er.

Maria Prean ist Gründerin des Missionswerks „Leben in Jesus Christus“, Imst/Österreich sowie des Vereins „Vision für Afrika e.V.“. Sie ist weltweit als Rednerin gefragt und als Missionarin die meiste Zeit in ihrem Werk in Uganda tätig.

ERF: Wie haben Familie und Freunde auf Ihr Vorhaben reagiert?

Maria Prean: Meine Familie und auch meine christliche Freunde reagierten zuerst schockiert. Mit 60 Jahren würde es anfangen mit den Krankheiten, sagten sie. Und in Afrika wäre nicht einmal die medizinische Versorgung sichergestellt. Es war ein erschreckender Gedanke für mich, ich hatte an so etwas gar nicht gedacht.

Interessant war: Nach drei oder vier Wochen hatte ich tatsächlich am ganzen Körper Schmerzen. Da habe ich gesagt: Herr, meine Familie hat Recht. Mit 60 Jahren fangen anscheinend die Krankheiten an. Ich hörte, wie mich Gott in meinem Herzen fragte, wo in der Bibel stehe, dass mit 60 Jahren die Krankheiten anfangen. Mir war sofort klar, dass ich mich hatte fehlleiten lassen. Ich habe diesen Worten geglaubt und mich dem Teufel gegenüber angreifbar gemacht. Doch ich bin ein Kind Gottes und ich werde so lange gesund bleiben und leben, wie Gott es will.

„Wozu bin ich auf dieser Welt?“

ERF: Für Sie war es einfach nur wichtig, im Vertrauen auf Gott den nächsten Schritt zu machen?

Maria Prean: Genau. Ich weiß jetzt, dass alle Lebensabschnitte vorher eine Vorbereitung waren für die Zeit hier. Jahrzehntelang stellte ich mir eine Frage: Wozu bin ich auf dieser Welt? Was hat Gott sich gedacht, als er mich erschaffen hat? Immer wieder bat ich Gott, mir zu zeigen, wozu er mich in diesem Leben erschaffen hat. Jetzt weiß ich mit hundertprozentiger Sicherheit, dass ich für diese afrikanischen Kinder geboren wurde und dass mir Gott diese Aufgabe gegeben hat.

ERF: Die 60 Jahre davor brauchten Sie, um sich auf diese Arbeit vorzubereiten?

Maria Prean: Ja, absolut. Ich glaube, dass wir alle eine Berufung haben. Doch die Vorbereitungszeit dauert oft sehr lange. In dieser Zeit gebraucht Gott zwei Geschwindigkeitsstufen: Langsam und sehr langsam. Und wenn wir auf der Autobahn seiner Berufung sind, kommt eine neue Stufe dazu: Sehr schnell. Manchmal sagen wir dann: „Bitte langsamer, Gott.“

ERF: Das ist spannend. Damit rechnet man wahrscheinlich nicht, dass es mit 60 Jahren erst so richtig losgeht und man tatsächlich auf diese Autobahn gestellt wird.

Maria Prean: Nein, dass habe ich nicht erwartet. Aber ich habe immer gewusst und proklamiert, dass das Beste noch vor mir liegt, selbst heute noch. Das Beste ist noch vor mir!

ERF: Was sagen Sie heute: Hatte es Vorteile, dass Sie bei diesem Projekt schon ein gewisses Alter hatten?

Maria Prean: Ich bin unwahrscheinlich gesegnet durch mein Alter. Einer Frau in meinem Alter darf man in Uganda nicht widersprechen, sie wird auch von Männern respektiert. Eine „Dshadsha“ nennt man sie, eine Großmutter. Unter meinen 300 Mitarbeitern sind auch viele Männer, deren Respekt ich genieße. Mein Alter hat so gesehen viele Vorteile.

Leben ist ein permanentes Loslassen und „Gott lassen“

ERF: Wie würden Sie Menschen ermutigen, die es vielleicht reizt, selbst etwas Neues zu beginnen, sich aber nicht so recht trauen?  

Maria Prean: Ich möchte den Schwerpunkt nicht darauf legen, neue Projekte zu starten. Ich habe nicht geahnt, was Gott mit mir vorhatte. Doch ich war und bin bereit, jeden Tag das zu tun, wofür er mir die Augen öffnet. Rückblickend habe ich erst sehr überrascht erkannt, dass er mich in eine enorme Berufung geführt hat.

Wenn Gott Wege für uns vorbereitet, müssen wir ihm auch erlauben, uns zu führen. Das bedeutet, jeden Tag mit offenen Augen und mit offenen Ohren wahrzunehmen, was er uns zeigt und dann diese Dinge zu tun. Der Rest ergibt sich von selbst, wenn wir Gott Raum geben. Wichtig ist dabei, sich nicht an Dinge zu klammern, sondern seinen Halt in Gott zu finden.

Ich glaube, dass wir in Europa viel zu sehr auf unsere Sicherheits- und Gemütlichkeitszone bedacht sind. Wir sollten bereit werden loszulassen. Für mich ist das Leben ein permanentes Loslassen und „Gott lassen“.

ERF: Herzlichen Dank für das Gespräch!

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