08.10.2019 / Ratgeber

Beten: Wenn es mal wieder zäh wird

Zu viel Stress, um in Ruhe zu beten? Zu viel Enttäuschung, wenn Gott nicht handelt? Moderatorin Sigrid Röseler zeigt, warum sich beten trotzdem lohnt.

Wieder ist es so weit: Ich düse rasant durch eine typische Woche. Ein Termin jagt den anderen. Am Samstag oder Sonntag fällt mir nicht mehr auf, dass Wochenende ist, und ich lehne mich verdächtig aus der Kurve. Dabei hatte ich mir fest vorgenommen, kürzer zu treten, um nicht mehr ins Schleudern zu geraten.

Entschleunigung versus Beschleunigung

Mir fällt auf: Je seltener ich bete, desto hektischer und stressiger wird mein Leben. Und je „wilder“ oder leidenschaftlicher mein Gebet ausfällt, desto mehr innere und schöpferische Ruhe habe ich im Alltag. Ich sage hier nicht, dass ich nur lang und viel beten muss und schon habe ich alles im Griff. Aber ich merke, dass ein kontinuierliches Gebetsleben mir hilft, ruhiger zu bleiben und die Freude in meinem Leben zu behalten.

Gott weiß, wie oft mir das misslingt. Ich bin ein initiativer und begeisterungsfähiger Mensch. Ich liebe es, wenn was los ist. Aber wenn ich mich zu schnell und zu oft von irgendwas oder irgendwem mitreißen lasse, bin ich gefährdet, meine Grenzen zu überschreiten. Dann bleibt keine Zeit oder Energie mehr fürs Gebet übrig, ich habe keine Kraft mehr für die Ruhe. Eine paradoxe Erfahrung, die scheinbar viele Menschen machen. Ich nenne das ein „geistliches Schleudertrauma“.

Je seltener ich bete, desto hektischer und stressiger wird mein Leben. Und je „wilder“ oder leidenschaftlicher mein Gebet ausfällt, desto mehr innere und schöpferische Ruhe habe ich im Alltag. 

Was mich vom Beten abhält

Nun könnte man meinen, die Umstände sind schuld. Bei mir stimmt das nicht. Immer, wenn mein Gebet dünner ausfällt, entdecke ich, dass sich unmerklich meine typischen Lebenslügen eingeschlichen haben. Eine, auf die ich besonders gern reinfalle, lautet: „Es passiert ja nichts im Gebet!“ Da ich sehr zielorientiert bin, ist das für mich nur schwer auszuhalten. Gott muss doch etwas tun, denke ich – anstatt auch ihm zu erlauben, einfach nur in meiner Gegenwart zu sein. So wie ich vor ihm einfach nur sein darf, ohne etwas leisten zu müssen. Mir hilft das Bild vom brachliegenden Acker. Er ist einfach da, auch ohne Saat, wenn nichts auf ihm wächst. Aber mikroskopisch tut sich in der Erde etwas Großartiges: Der Acker wird wieder fruchtbar!

Eine andere irrige Annahme von mir ist: „Gott kümmert sich nur um die Belange der anderen – aber nicht um meine.“ Solche Überzeugungen sind mir meist nicht bewusst. Sie sind aber der Grund, warum Gott mir manchmal so weit weg scheint, obwohl er mir doch nahe ist, ja, sogar in mir lebt.

Auch im Gespräch mit Ratsuchenden stelle ich fest, wie sich ungesunde Gottesbilder hartnäckig halten und jede Motivation zum Gebet attackieren können. Zum Beispiel: „Gott ist sauer auf mich, weil …“ oder „Gott hat mich vergessen, ich komme zu kurz …“ Diese Annahmen stammen aus den Erfahrungen eines Menschen, die er sich durch seine Prägungen und eigenen Deutungen immer wieder neu bestätigt. Es gibt tatsächlich Menschen, für die muss das Leben schwierig oder enttäuschend sein – denn so sind sie es gewohnt. Andernfalls verstehen sie die Welt nicht mehr. Hier kann eine seelsorgerliche Reflexion vieles positiv verändern. 

Auch im Gespräch mit Ratsuchenden stelle ich fest, wie sich ungesunde Gottesbilder hartnäckig halten und jede Motivation zum Gebet attackieren können. 

Umgang mit Enttäuschungen

Dennoch bleiben Enttäuschungen ein ernstzunehmendes und großes Hindernis, das Menschen vom Beten abhalten kann. Es ist vielleicht sogar die größte Herausforderung im Leben eines Christen, enttäuschte Hoffnungen zu überwinden. Da haben wir gemacht und getan, gebetet und gefastet, uns gedemütigt und uns in Geduld geübt. Und dennoch: Die erhoffte Wendung ist nicht eingetroffen. Warum nur? Solche Fragen sind schwer zu beantworten.

Mir schenkt besonders ein Gedanke Trost: Die Enttäuschung ist nur die eine Seite der Medaille. Das war auch der Fall, als Jesus starb. Was waren die Jünger enttäuscht, als er gekreuzigt wurde! Wer bitte sollte verstehen, dass ausgerechnet darin der Sieg lag? War der Erlöser gescheitert? 

Nicht alle, die Jesus kannten, durften ihn leibhaftig nach seiner Auferstehung sehen. Sie waren darauf angewiesen zu glauben, dass er gesiegt hatte. Sicher hatten sie sich eine Erlösung anders vorgestellt! Das stellt mir die Frage, ob ich bereit bin, meine eigenen Vorstellungen und Erwartungen, wie Gott handeln sollte, immer wieder neu zu überprüfen und gegebenenfalls loszulassen – um fähig zu werden, die andere Seite der Medaille zu sehen. So wie Gott sie sieht. Das geschieht bei mir im Gebet. Und ich merke, dass ich Gebet immer wieder unterschätze. Denn nur, wenn ich Gott nicht durch meine Vorstellungen beschränke, kann er mich auch überraschen. Das habe ich erlebt! 

Nur, wenn ich Gott nicht durch meine Vorstellungen beschränke, kann er mich auch überraschen. Das habe ich erlebt! 

Das Abenteuer der Ruhe

Es müssen nicht immer so tief liegende Faktoren sein, die uns hindern, das Gebet zu praktizieren und zu genießen. Oft ist es einfach zu viel Ablenkung, die schiere Gedankenflut oder der Impuls, nach dem Smartphone zu greifen.

Da liegt es nahe, dass auch pragmatischere Faktoren mir im Gebet weiterhelfen können. Wir finden oft entsprechend unserer Persönlichkeit eine passende Gebetsform: in der Natur, laut oder leise, mit anderen oder allein. Beziehungsorientierte Menschen beten gerne in Zweierschaften. Beständige Menschen bevorzugen wahrscheinlich kontinuierlich dieselbe Gebetsform. Ich als freiheitsliebender Typ liebe den Wechsel. Ich muss bewusst mal etwas ganz anderes ausprobieren.

Doch nie hätte ich gedacht, dass ausgerechnet ich ein Freund der klassischen Kontemplation werden könnte: still werden, selbst nicht viele Worte machen, nur ein Wort der Bibel umkreisen, es zu mir sprechen zu lassen, es zu atmen, es zu kauen und zu verstoffwechseln, darin zu ruhen. Was für ein „Happening“!

Es müssen nicht immer so tief liegende Faktoren sein, die uns hindern, das Gebet zu praktizieren und zu genießen. Oft ist es einfach zu viel Ablenkung, die schiere Gedankenflut oder der Impuls, nach dem Smartphone zu greifen.

Meine 3 Top-Gründe zu beten

Es gäbe noch viele hilfreiche Tipps, die das Gebetsleben beflügeln können. Diesen Beitrag will ich jedoch mit einem ausschnitthaften, unvollkommenen, aber dafür persönlichen Bogen schließen. Für mich gibt es drei Grundüberzeugungen, die mich zum Beten motivieren:
1. Gebet schenkt Zeit und frisst sie nicht.
2. Gebet erlaubt mir Bedürftigkeit und erhält gleichzeitig meine geistliche Kraft.
3. Gebet verändert mich und damit die Welt.

Zu hoch gegriffen?


Sigrid Röseler, Moderatorin und Beratende Seelsorgerin, betet regelmäßig live für und mit Usern auf der Facebookseite von ERF MenschGott. 
 

Autor/-in: Sigrid Röseler

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