10.06.2018 / Wort zum Tag

Beten – keine Leistung, sondern eine Lebenshaltung

Seid beharrlich im Gebet und wacht in ihm mit Danksagung!

Kolosser 4,2

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Der Reformator Martin Luther hatte einen Hund. Er lag unten am Tischbein, starrte mit seinen Augen unverwandt hinauf und wartete geduldig, bis sein Herrchen ihm einen Bissen zuwarf. Als Martin Luther wieder einmal in die treuherzigen Augen seines Hundes blickte, seufzte der Reformator: «Ach, dass ich doch so beten könnte, wie mein Hund aufs Fleisch schaut. Seine Gedanken sind allesamt auf das Stück Fleisch gerichtet, sonst denkt, wünscht und hofft er nichts.»

Unser Beten sieht oft anders aus. Ja, es scheint sogar zunehmend gefährdet zu sein: Mehr noch als der Alltag mit seinen Aufgaben und Herausforderungen will uns ein riesiges Unterhaltungsangebot gefangen nehmen. Unsere freie Zeit wird so heftig umworben wie nie zuvor. Es gibt Tag und Nacht immer etwas Interessantes zu erleben, zu genießen und zu konsumieren – nicht nur auswärts, sondern dank der Medien auch daheim! Wir können uns weltweit aussuchen, bei welchem Event wir in Echtzeit dabei sein wollen. «Brot und Spiele» global und regional – das hat ein unerschöpfliches Ablenkungspotenzial!

Wer da nicht aufpasst, hat fürs Beten kaum noch Zeit. Das war aber schon immer so! Vor 500 Jahren wurde das schon – wie gehört – von Luther beklagt und vor 2000 Jahren haben das auch die Apostel in den jungen christlichen Gemeinden beobachtet. So schrieb beispielsweise Paulus an die Christengemeinde in der kleinasiatischen Stadt Kolossä: «Seid beharrlich im Gebet und wacht in Gott mit Danksagung!» Warum legte Paulus so viel Wert auf das Gebet?

Der Hinweis auf die «Wachsamkeit» gibt die entscheidende Antwort: In der Gegend von Kolossä und Laodicea tummelten sich nämlich viele orientalisch-esoterische Bewegungen. Es herrschte ein attraktives religiöses Angebot für jedermann und der multireligiöse Wettbewerb war Teil der Lebenskultur. Das war unterhaltsam, aufregend und spannend. Spirituell war da immer etwas los!

Deshalb erinnerten sich die noch «jungen» Christen an so manche religiöse Gewohnheit und Tradition. Einige verbanden diese Gnosis-Erkenntnisse, Rituale, Kulte und asketischen Übungen mit dem Glauben an Christus, andere trennten sich radikal davon. Deshalb kam es zu Diskussionen und Konflikten. Diesem Streiten wollte Paulus mit seinem Brief begegnen. Messerscharf erkannte er die Gefahr, die uns bis heute mal mehr, mal weniger begleitet: Dass sich christlicher Glaube wieder mit religiösen Leistungen, ideologischen Utopien und spirituellen Selbsterlösungsprogrammen vermischt.

Deshalb ruft Paulus zu «anhaltendem Gebet» auf! Damit ist kein stunden- oder gar tagelanges Händefalten gemeint. Es geht Paulus nicht um die Länge der Gebetsstunden oder um eine messbare Gebetsleistung. Beten ist mehr als ein möglichst langes «viele Worte machen»! Und Beten ist keine Leistung, die ich Gott bringen muss, damit er reagiert – das wäre heidnisch-religiös gedacht.

Paulus plädiert für eine Lebenshaltung derer, die sich von Gott geliebt und geführt wissen. Unser Beten drückt aus, dass wir Gott gehören, bei ihm wohnen und mit ihm im Gespräch sind. Weil uns Gott ja nicht nur stundenweise liebt, bleiben Christen andauernd in Verbindung mit ihrem himmlischen Vater – das ist eine christlich-evangelische Gewissheit.

Autor/-in: Pfarrer i. R. Peter W. Henning