08.08.2023 / Wort zum Tag

Beschenkt um zu schenken

Dienet einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes.

1. Petrus 4,10

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Ein Bekannter zeigt mir stolz eine Auswahl seiner schönsten Fotos. Fotografieren ist sein leidenschaftliches Hobby. Nachdem wir die wundervollen Fotos betrachtet haben, die er in seiner Freizeit gemacht hat, sage ich beeindruckt zu ihm: Du bist begnadet.

Manche seiner Aufnahmen schaffen es sogar in den Gemeindebrief. Er tut damit das, wozu der 1. Petrusbrief, Kapitel 4 Vers 10 die Christinnen und Christen aufruft:

Dient einander als gute Verwalter der vielfältigen Gnade Gottes, jeder mit der Gabe, die er empfangen hat!

Gott hat jedem und jeder von uns Gaben geschenkt, geistliche Gaben und natürliche Begabungen. Gaben, wörtlich Gnadengaben – sind nicht alltäglich und auch nicht selbstverständlich. Wer sie hat, ist damit beschenkt. Keine und keiner ist bei der Verteilung der Gaben leer ausgegangen. Jede und jeder ist in irgendeiner Weise talentiert. Gaben sind nichts, was ich mir verdient habe, oder was mir allein gehört. Meine Gaben und Talente setze ich ein und teile sie mit anderen. Ich behalte sie nicht eigennützig für mich. Dort, wo Menschen das, was ihnen anvertraut ist, großzügig weitergeben und verschenken, wirken diese Gaben weiter. Gaben überwinden Grenzen und können Menschen zueinander führen. 

Wir haben während der Corona-Pandemie schöne Erfahrungen gemacht. Menschen entwickelten in der Krise viel Fantasie und Kreativität, um mit den Herausforderungen der Pandemie umzugehen. Da lernte z.B. eine Schülerin Masken zu nähen, nicht nur in schwarz- weiß, sondern mit lustigen Mustern, die beim Betrachten ein Strahlen in die Augen zauberten. Ein Musikschullehrer bot einen kostenlosen Online- Kurs für Ukulele an, für den sich nicht nur Menschen aus seiner Region, sondern weltweit begeisterten, mit dem Ziel, ein gemeinsames Konzert zu veranstalten. Da wurden Briefe gegen die Einsamkeit geschrieben. Besuchsdienste suchten den direkten Kontakt zu Älteren per Telefon. Hoffnungstüten wurden an Haustüren hinterlegt.

Ganz unterschiedliche Gaben kamen sehr kreativ zum Vorschein, auch solche, die lange vergessen waren, oder derer man sich überhaupt noch nicht bewusst war. Ich entdecke in der ganzen Gabenvielfalt die Empfehlung wieder, die der 1. Petrusbrief an die jungen christlichen Gemeinden weitergeben wollte:

Wirkt als gute „Ökonomen“ der vielfältigen Gnade Gottes, indem Ihre Eure Gaben und Talente entdeckt, pflegt und für andere einsetzt.

Jede noch so vermeintlich kleine und unbedeutend erscheinende Gabe ist wichtig in der Gemeinde, wie folgende kleine Geschichte von Rudyard Kipling wunderbar illustriert:

Es gab einmal in einem riesigen Schiff eine ganz kleine Schraube, die mit vielen anderen ebenso kleinen Schrauben zwei große Stahlplatten miteinander verband. Diese kleine Schraube fing an, bei der Fahrt mitten im Ozean etwas lockerer zu werden und drohte herauszufallen. Da sagten die nächsten Schrauben zu ihr:

„Wenn du herausfällst, dann gehen wir auch.“  Und die Nägel unten am Schiffskörper sagten: „Uns wird es auch zu eng, wir lockern uns auch ein wenig.“ Als die großen eisernen Rippen das hörten, da riefen sie: „Um Gottes willen, bleibt! Denn wenn ihr nicht mehr haltet, dann ist es um uns geschehen!“

Und das Gerücht von dem Vorhaben der kleinen Schraube verbreitete sich blitzschnell durch den ganzen riesigen Körper des Schiffes. Er ächzte und erbebte in allen Fugen.

Da beschlossen sämtliche Rippen, Platten, Schrauben und auch die kleinsten Nägel, eine Botschaft an die kleine Schraube zu senden, sie möchte doch bleiben: denn sonst würde das Schiff bersten und keiner von ihnen die Heimat erreichen.

Das schmeichelte dem Stolz der kleinen Schraube, dass ihr solch ungeheure Bedeutung beigemessen wurde, und sie ließ sagen, sie wolle sitzen bleiben.

Autor/-in: Jürgen Schweitzer