09.01.2015 / Kommentar

Angst vor dem Islam?

Nach den Anschlägen auf das Satire-Magazin Charlie Hebdo entflammt die Debatte über Islamismus neu

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Andreas Odrich zum Attentat auf Charlie Hebdo in Frankreich

Am Mittwochvormittag habe ich zum ersten Mal die Meldung eines terroristischen Anschlags auf das französische Satiremagazin „Charlie Hebdo“ gelesen. Zwei mit Kalaschnikows bewaffnete Männer haben kaltblütig vier Mitarbeiter des islamkritischen Magazins hingerichtet, das besonders wegen seiner Karikaturen bekannt ist. Die Anzahl der Opfer ist mittlerweile auf zwölf angestiegen.

Während sich weltweilt eine Welle der Empörung, Kritik und des Mitgefühls ausbreitete, schlich sich bei mir zuerst die Vermutung ein, dass es sich bei den Attentätern wohl um islamistische Fundamentalisten handeln müsse. Einerseits ist mir das unangenehm, da mir erst vor kurzem ein muslimischer Bekannter erzählte, dass er sich im Moment schämt, Muslim zu sein. Und ich will nicht den Islam pauschal verdächtigen. Andererseits haben die Meldungen meine Vermutung leider bestätigt.

Schnell erinnerte ich mich an einen ähnlichen Vorfall aus dem Jahr 2005. Da lösten Mohammed-Karikaturen der dänischen Tageszeitung Jyllands-Posten einen Sturm der Entrüstung in der islamischen Welt aus. Ein Anschlag auf den Zeichner einer der Karikaturen – Kurt Westergaard – scheiterte im Jahr 2010. Der Anschlag auf eine ganze Redaktion ist für mich allerdings eine neue Stufe der Eskalation. Mir ist bewusst, dass islamische Fundamentalisten den Islam in Geiselhaft nehmen. Der Islam ist mehr als gewaltbereite Fundamentalisten. Viele Muslime haben sich hervorragend integriert und schätzen die Freiheiten, die ihnen Deutschland oder andere westeuropäische Staaten bieten.

Syrien-Kämpfer sind tickende Zeitbomben

Dennoch bereitet mir die Zunahme der Gewaltbereitschaft unter den muslimischen Fundamentalisten Sorge. Für sie ist der Jihad – der Heilige Krieg –individuelle und kollektive Pflicht für jeden Muslim. Laut Politikwissenschaftler und Historiker Dr. Johannes Kandel sind kaum Aussagen muslimischer Verbände oder islamischer Rechtsgelehrter zu vernehmen, dass Anhänger dieser politischen Macht- und Herrschaftsideologie aus der „Gemeinschaft“ der Muslime ausgeschlossen gehören. Damit wird die radikale Lesart des Islam gleichsam als gültig legitimiert.

Nun stellt sich die Frage, ob man vor dem Islam generell Angst haben muss. Ich bin überzeugt, dass dies auf „den“ Islam (den es genauso wenig gibt wie „das“ Christentum) nicht zutrifft. Von einem Großteil der Muslime geht keine reale Bedrohung aus. Anders sieht das aber in Bezug auf den weit gefächerten extremistischen Islam aus. Da ist Wachsamkeit zwingend notwendig – sowohl, was mich persönlich angeht als auch in Bezug auf die Bundesbehörden. Ich finde es nachvollziehbar, dass viele in Deutschland sich Sorgen machen. 2007 beispielsweise konnte nur aufgrund sehr gründlicher Überwachung ein Anschlag der sog. Sauerland-Gruppe verhindert werden.

Nach Aussagen des Verfassungsschutzes befinden sich in Deutschland etwa 43.000 Islamisten. Natürlich sind nicht alle dieser Islamisten militant. Dennoch ist das eine ernst zu nehmende Zahl. Zu dieser Gruppe gehören übrigens auch die rund 6500 Salafisten, von denen rund 800-900 als militant angesehen werden. Dazu kommen noch etwa 200 sog. Syrien-Kämpfer, die Dr. Johannes Kandel als „tickende Zeitbomben“ bezeichnet.

Nicht alle Pegida-Protestler sind Nazis in Nadelstreifen

Es sind diese Zahlen und auch Anschläge wie die vom vergangenen Mittwoch, die vielen Menschen in Deutschlang Sorgen bereiten. Das kann ich nachvollziehen – selbst wenn derzeit keine akute Gefahr besteht. Der Zuspruch, den beispielsweise die Protestbewegung Pegida erhält, ist ein Beweis dafür, dass sich Angst breitmacht in Deutschland. Eine Angst, die von Politik und Medien nur begrenzt ernst genommen wird. Das zeigen zumindest Aussagen wie die von SPD-Politiker Ralf Jäger, für den die gesamte Protestbewegung hauptsächlich aus „Nazis in Nadelstreifen“ zu bestehen scheint. Das ist weder korrekt noch hilfreich.

Unter dem Banner der Pegida versammeln sich nämlich neben einer ganzen Reihe in der Tat sehr zwielichtiger Elemente des rechten Lagers auch viele normale Bürger, die einfach nur wütend und ängstlich sind. Sie verdienen mehr als politisch korrekte Aussagen. Sie verdienen es, ernst genommen zu werden, statt pauschal als „braune Gesinnungstäter“ abgekanzelt zu werden. Sie verdienen einen offenen Diskurs.

Christen werden besonders in islamischen Ländern verfolgt

Christen stehen in besonderer Weise im Fadenkreuz der islamischen Extremisten – nicht nur in Syrien oder im Irak. Ebenfalls am Mittwochvormittag veröffentlichte die christliche Hilfsorganisation Open Doors ihren Weltverfolgungsindex 2015. Unter den insgesamt 50 aufgelisteten Ländern, in denen Christen verfolgt werden, sind 35 islamische Länder. Von den ersten zehn Ländern sind es acht. Das finde ich besorgniserregend.

Markus Rode – Geschäftsführer von Open Doors – weiß, dass diese Zahlen in einer prekären politischen Situation publiziert wurden. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum die Rangliste auf ein derart großes Interesse gestoßen ist: Über 200 Leserkommentare erhielt die ausschließlich sachliche Berichterstattung auf welt.de. Rode warnte allerdings davor, die Liste nicht in der Debatte um die Stellung des Islam in Deutschland zu instrumentalisieren. Nichtsdestotrotz bezeichnet der Verein in ihrer Erklärung den islamischen Extremismus als „eine der Haupttriebkräfte der Verfolgung“. Das gilt nicht nur für den Nahen Osten, sondern ebenfalls für Afrika.

Auch die Berichte anderer Nachrichtenagenturen erfolgte – für mich wenig überraschend –  sachlich-distanziert, sehr auf die Angaben von Open Doors gestützt. Eigene Einschätzungen gaben die Redakteure nicht – außer Anette Langer vom Spiegel. Sie spekuliert über den Gesprächsstoff für Deutschland: „Das könnte in der aktuellen Debatte um Pegida und ähnliche islamfeindliche Bündnisse für Zündstoff sorgen.“ Ist das etwa die Schlussfolgerung aus einer Statistik, die angibt, dass weltweit 100 Millionen Christen wegen ihres Glaubens verfolgt werden? Ich kann kaum glauben, was ich lese.

Aus Angst vor Ablehnung schweigen?

Ich bin allerdings nicht der einzige Rezipient, den der Weltverfolgungsindex zum Nachdenken anregt. Auf focus.de zieht ein Leser Bilanz nach diesen zwei Schreckens-Nachrichten am Mittwoch: „Schaut Euch die Tragödie in Paris heute an! Die Toleranz der Demokratie muss auch eine schützende Grenze haben.“  Wie diese Grenze aussehen kann? Das müssen wir in Deutschland endlich offen diskutieren – mit Pediga-Anhängern und –Gegnern, mit Christen, mit Muslimen, mit Minderheiten.

Ein trauriges Fazit, aber eine Stimme, die auch mir persönlich bekannt vorkommt, ist die von „Uwe Ostertag“ auf focus.de: „Dass der Haupttriebtäter der Islamische fanatismus ist, das ist uns schon bewusst, aber diesen anzukreiden wage ich mir absolut nicht, denn ich habe Angst, als Rassist und Ausländerfeind dazustehen, lieber lasse ich unser Land islamisieren, um meine christliche Nächstenliebe auszuleben (sic).“ Diese Passivität, die ich selber gut kenne, macht mich betroffen. Sind wir wirklich so hilflos?