31.10.2022 / Wort zum Tag

Anders als erwartet

Schafft Recht und Gerechtigkeit und errettet den Beraubten von des Frevlers Hand und bedrängt nicht die Fremdlinge, Waisen und Witwen und tut niemand Gewalt an.

Jeremia 22,3

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Er hat sich sein Leben anders vorgestellt: Seine Schule gut abschließen und einen Beruf erlernen, mit dem er seine zukünftige Familie ernähren kann. Und dann im Kreise der Familie in Frieden alt werden. Das war sein Lebensentwurf. Doch es kam ganz anders:

In das Leben des jungen Jeremia greift Gott ein!
Er beruft ihn zu seinem Propheten. Der Gott Israels bringt den ganzen Lebensentwurf des jungen Jeremia durcheinander. Einmal, weil er als Prophet Gottes plötzlich Einsicht in Dinge bekommt, die er bisher so nicht gesehen und für möglich gehalten hat. Zum andern: Er muss den herrschenden Mainstream und die dafür Verantwortlichen in Politik und Religion im Namen Gottes anklagen und dem König sagen:

„Schafft Recht und Gerechtigkeit und errettet den Beraubten von des Frevlers Hand und bedrängt nicht die Fremdlinge, Waisen und Witwen und tut niemand Gewalt an.“

Immer wieder muss Jeremia im Namen Gottes reden und das bestehende System in Israel zurechtweisen.

Die Mächtigen in Religion und Politik haben das Recht vernachlässigt und handeln nicht gerecht. Was tun sie denn? Sie fragen nicht nach den bestehenden Gesetzen, sondern biegen sie sich zurecht, damit sie in ihr Schema passen.

Sie lassen zu, dass wenige „Frevler“ das Volk berauben und ausbeuten. Und sie profitieren auch noch vom frevelhaften Verhalten der „Räuber“. Heute nennen wir das Korruption. 

Sie schüchtern arglose Fremdlinge, Waisen und Witwen ein - also Menschen, die auf ihre Hilfe und Fürsorge angewiesen sind. Sie nützen deren Situation schamlos für ihre eigenen Zwecke aus.

Und zuletzt setzen sie ihre eigenen Interessen notfalls mit Gewalt durch.
Jeremia hat als Prophet Gottes wirklich keine leichte Aufgabe. Er muss im Namen und im Auftrag Gottes, diese Missstände in Religion und Politik in Israel anklagen.

Mit anderen Worten heißt das auch:

- Gott schaut nicht tatenlos zu, wenn die religiös- und politisch Verantwortlichen in einem Volk nicht mehr nach ihm und seinen Geboten fragen.
- Gott ist es nicht verborgen, wenn die Verantwortlichen nur noch „ihr eigenes Ding drehen“.

- Gott beruft und erweckt deshalb immer wieder solche Propheten.

Auch Dietrich Bonhoeffer war ein solcher. Er hat sich gegen die deutschen Christen in der evangelischen Kirche und gegen die Politik des Nationalsozialismus gestellt. Er hat es damit begründet: Es kann für einen Pfarrer nicht die erste Aufgabe sein, wenn ein betrunkener Autofahrer Passanten auf der Straße totfährt, diese zu beerdigen und die Hinterbliebenen zu trösten. Er sah seine Aufgabe darin, „dem Rad in die Speichen zu fallen“. 

Propheten verkünden im Namen Gottes kritische Botschaften gegenüber dem bestehenden System. Dadurch sind sie eher unbeliebt. Aber sie können nicht anders: Sie müssen Gott mehr gehorchen als den Menschen. (Apg. 5, 29)

Autor/-in: Günther Röhm