23.05.2012 / Mein Gott und die Welt

„Am liebsten würde ich eine Kirche gründen!“

Kracht es in der Gemeinde, scheint Flucht eine attraktive Lösung zu sein. Das ist aber zu kurz gedacht, findet Andreas Meißner.

Es ging auf der Webseite um ein Gemeindethema, das man herrlich kontrovers diskutieren kann. Jeder hatte, von seiner Warte aus, ganz originelle Ideen, wie man es auch anders machen könnte. Oder Argumente, warum die bestehende Kirche oder Gemeinde, die man besucht, so fehlerbehaftet in dieser Sache ist.

Aber man muss ja nicht alles hinnehmen, sondern auch selbst aktiv werden, wie folgender Kommentator vorschlug: “Hmmmm, ehrlich gesagt würde ich am liebsten eine Kirche gründen die sich nur nach der Bibel orientiert, und in der man auch nur aus der Bibel vorliest. Irgendwie gibt es mir heutzutage zu viel Mischmasch (Sonderlehren) in den Gemeinden, das verwirrt ein wenig, finde ich.”

Vielleicht hat er oder sie ja Recht mit seinem Wunsch nach einer reinen Bibel-Kirche. Dann wäre alles einfacher, deutlicher und klarer. Oder?

Nun, selbst eine Kirche, die nichts tun würde als nur die Bibel zu lesen, stellt sich sicher bald die Frage: Welche Übersetzung benutzen wir? Welche Bibelabschnitte werden wir lesen? Mehr die Gerichtspassagen, die Gottes Heiligkeit hervorheben oder mehr die ermutigenden und tröstenden Abschnitte? Lesen wir nur die Psalmen? Oder überhaupt aus dem Alten Testament? Besser nicht - schließlich leben wir nicht mehr unter dem Gesetz. Und schon kann die eben neu gegründete Kirche, die es ja nicht als Person gibt, sondern immer aus Menschen besteht, wieder herrlich kontrovers diskutieren.

Damals nicht besser

Ein ideales Verständnis von Kirche hätte es ja zur Zeit Jesu geben müssen. Schließlich war der Chef selbst direkt dabei! Einmal davon abgesehen, dass Jesus keine Kirche gegründet hat, sondern diese erst zu Pfingsten entstanden ist: Auch unter den Jüngern, also im intimsten Kreis der Gläubigen, die ganz dicht am Gottessohn lebten, gab es jede Menge Meinungsverschiedenheiten.

Der eine war der Revolutionär – immer eine Hand am Heft seines Schwertes, der nächste ein rauer Fischer, ein anderer wieder ein ganz Lieber, der immer in Jesu Nähe sein wollte. Sie hatten handfeste Diskussionen und mussten sich der Kritik vom “Chef” aussetzen, dass sie seine wichtigsten Grundsätze nicht oder nur teilweise verstanden hatten – trotz mehrfacher Wiederholung. Also: Auch unter idealen Leitungsvoraussetzungen durch Jesus brechen die Eigenheiten und Charaktere seiner Mitarbeiter immer wieder durch.

Menschen prägen Gemeinden

In jeder neu gegründeten örtlichen Kirche, aber auch in den bereits bestehenden, etablierten Gemeinden gibt es unterschiedliche Menschen. Es gibt die Leitertypen, die Prozesse und Entscheidungen anstoßen und durchführen. Nach ihrer Überzeugung, so wie sie sind. Wenn ihre Kindheit und Jugend unter strengen Eltern verlief, dann kann es gut sein, dass sie dieses Prinzip auch als Leiter in ihrer Gemeinde anwenden werden. Ihre Welt tickt nun einmal so, wie sie es selbst gewöhnt sind.

Wenn “Freiheitstypen” eine Kirche leiten, wird sich diese Freiheit und Toleranz auch im Umgang mit ihren Kollegen bzw. den Kirchenbesuchern zeigen. Leitung hat nicht nur eine große Verantwortung für ihr Tun, sondern prägt auch die Menschen einer Gemeinde. In die Richtung, die sie selbst als gut, nützlich und wahr erkannt haben. Und nach ihrem derzeitigen Kenntnisstand. Der kann in einigen Jahren wieder verändert sein – gerade wenn eine Gemeinde wächst.

Und Gott?

Selbst unsere Gottesbilder sind so unterschiedlich, obwohl wir dieselbe Bibel lesen. Jeder hat seine Lieblingsstellen, -figuren, -gleichnisse, -handlungen. Genau hier sieht er Gottes Wirken auf seine besondere Weise. Der eine sieht größere Zusammenhänge, andere haben vor lauter Details den Überblick verloren. Der eine ist kurzsichtig geworden und entwirft aus seiner eigenen, subjektiven Wahrnehmung der Bibel sein Bild von Gott. Der andere erlebt den Allmächtigen als Notfall-Gott, der nächste sieht mehr, dass er Leistungen honoriert. Zuletzt ist einer zutiefst bewegt von der Gnade des Herrn und erlebt die anderen Eigenschaften im Wechsel nacheinander.

Und wie kann es funktionieren?

Ich glaube zu spüren, wie Kirche tatsächlich besser gelingen kann – auch wenn das wieder subjektiv ist: Wenn wir, das heißt alle, Profis und Laien, in erster Linie auf eine ununterbrochene Leitung zum Himmel Wert legen. Regelmäßige Kontakte mit Gott im Gebet zu ihm und im Hören auf seine Antworten lassen die Gemeinschaft nicht zur Einbahnstraße werden. In dieser engen Beziehung wird der Geist Gottes den Vielen in einer Gemeinde seine speziellen Absichten klarmachen. Schließlich ist er ein Geist des Friedens. Bei ihm gibt kein Ausspielen von persönlich geprägten Ansichten.

Ein gutes Miteinander war übrigens schon zu biblischen Zeiten ein wichtiger Faktor, damit Gemeinden Wachsen. Dieses Miteinander bedeutete hören auf den Anderen, den Nächsten höher achten als sich selbst. Besser einander zuhören als einander zutexten. Diesen gemeinsamen Weg für die nächsten Schritte erbeten und herausfinden im Gespräch und gleichwertigem Abgleich.

Das könnte eine Kirche sein, die funktioniert. Das Gute: Dazu muss man keine neue gründen.