08.01.2010 / Wort zum Tag

5. Mose 6,5

Du sollst den HERRN, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.

5. Mose 6,5

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Neulich auf der Autobahn. Ich bin für drei Stunden allein im Auto unterwegs. Zeit genug, um über das Wort zum Tag nachzusinnen. Es heißt: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft!“ - aus dem 5. Buch Mose, 6. Kapitel, Vers 5.

Es hört sich so selbstverständlich an, und doch sind in mir mehr Fragen als lösende Gedanken. Ich bin auf dem Weg zu einem Einkehrwochenende. Ich erhoffe mir Ruhe und Stille, eine Auszeit von der Hektik des Alltags. Das Motto dieser Tagung lautet: „Wandle vor meinem Angesicht und sei ganz!“ Ja, denke ich, das könnte mit dem Wort zum Tag gemeint sein. Vor Gott finde ich Zeit und Kraft, ganz zu werden. Die innere Unruhe abzulegen, das Zerrissen-Sein zwischen so vielen Erwartungen an mich im Alltag heilen zu lassen, in mir ruhen zu können. Ganz werden: ganzes Herz, ganze Seele, ganze Kraft. Man kann es noch anders ausdrücken: „Beherzt“, denn das meint eigentlich das hebräische Wort. Und mit „ganzem Begehren“, denn das ist der Wortsinn von Seele hier. Der Mensch ist wie ein weit aufgerissener Mund, dem man bis in die Kehle hineinsehen kann. Er begehrt nach Nahrung, er begehrt nach Leben. Ganzes Leben. Mit größtmöglicher Intensität. Das ist mit dem Wort „Kraft“ gemeint. Das wäre etwas. Ich käme aus diesen Tagen zurück und würde spüren, dass der innige Glaube mich vor Gott ganz werden lässt. Oder dass ich zumindest eine Ahnung davon bekäme, was Ganz-Sein für mich bedeuten könnte.

Es sind noch zwei Stunden zu fahren. Vor mir fährt ein roter LKW. Ein Sattelschlepper. Viele dieser Sattelschlepper sind an den Seiten und an der hinteren Tür mit Werbung beschriftet oder mit den Namenszügen der Speditionen. Der vor mir hat etwas Besonderes. Ich lese an der Rückseite: „Jesus meine Zuversicht. Jesus lebt, mit ihm auch ich.“ Ich bin überrascht. Mitten auf der Autobahn ein Glaubensbekenntnis. Noch wenige Minuten zuvor habe ich an einem Wohnwagengespann gelesen: „Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum!“ Es scheint in Mode zu kommen, seine Lebensmaximen auf die Autobahn zu bringen. - Aber was für ein Unterschied: nach der Aufschrift des Wohnwagengespanns soll ich mein Schicksal selbst in die Hand nehmen, meinen Traum vom Leben verwirklichen, hier im Bibelvers bin ich von der Liebe meines Gottes berührt worden und antworte jetzt. Oder wenn ich es ganz genau nehme: ich soll antworten. „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieb haben!“ Beide Male eine Verantwortung. Und das im wahrsten Sinn des Wortes. Sein Leben und Tun als ein Prozess des Antwortens zu sehen, Antwort geben, eben Verantwortung zeigen. Nach der Aufschrift des Wohnwagens Antwort geben auf sich selbst, und hier Antwort geben auf seinen göttlichen Ursprung. Der Fuhrunternehmer hat das Letztere in Tat und Wort beherzt umgesetzt und seinen LKW entsprechend gestaltet. Liebe zu Gott als Tat, unter Einsatz seines Besitzes.

Aber, so schießt es mir durch den Kopf, kann man Liebe erwarten oder gar befehlen? So hört es sich ja an. „Du sollst lieb haben!“ Ja, Liebe wird auch Tat. Aber Liebe ist mehr als Tat. Eine Tat kann ich erwarten oder befehlen, aber Liebe? In der Liebe lassen sich keine Ansprüche ableiten oder geltend machen. Sie ist weder Verdienst, noch lassen sich in ihr Verdienste erwerben. Sie kann weder erzwungen, noch jemandem geschuldet werden. Für enttäuschte und verlorene Liebe besteht kein Recht auf Schadenersatz. Und wie ist es, wenn Liebe doch geboten werden könnte? Wie könnte ich überprüfen, dass ich wirklich liebe? Und wenn ich es tue, wie aufrichtig? Und wie kann ich das herausfinden? Das beantworten zu wollen, wäre doch die sicherste Methode, um eine Liebesbeziehung zu einem ernsthaften Problem werden zu lassen. Liebe ist selbstverständlich oder gar nicht. Sie ist ein Gottesgeschenk. „Du sollst Gott lieb haben!“ Ja, wohl nur so, dass man damit unterwegs bleibt, wie ich neulich auf der Autobahn.
 

Autor/-in: Pastor Manfred Kasemann