27.08.2009 / Wort zum Tag

5. Mose 32,11

Wie ein Adler ausführt seine Jungen und über ihnen schwebt, breitete der HERR seine Fittiche aus und nahm sein Volk und trug es auf seinen Flügeln.

5. Mose 32,11

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Großartig anzusehen, wie ein Adler in schwindelnder Höhe seine Kreise zieht, scheinbar mühelos, schwerelos. Dann verschwindet er plötzlich in einer Felsnische. Wohl um im Horst seine Jungen zu versorgen. Dieses Bild malt der greise Mose in seinem letzten Lied vor unsere Augen. Er rühmt darin die Treue und Fürsorge Gottes. Wie er sein Volk Israel umsorgt und bewahrt. Ein schönes, friedvolles Bild, auf den ersten Blick.

Schaue ich genauer hin, lässt es mich erschrecken. Denn da ist eigentlich nicht vom Ausführen der Jungen die Rede, wie es im Luthertext heißt. In der Elberfelder Bibel steht an dieser Stelle: „Wie ein Adler sein Nest aufstört …“ oder in einer anderen Version („Hoffnung für alle“): „Ein Adler scheucht die Jungen aus dem Nest …“ Das klingt weniger friedlich und schon gar nicht liebevoll.

Aber auch dieser Eindruck täuscht. Denn worüber die junge Brut im Augenblick erschrickt, ist weder grausam noch ein übler Scherz. Es muss sein, damit die Jungvögel flugfähig werden, überleben können. Keine Neugier und kein Locken hätte sie dazu bewegen können, sich über die sichere Horstwand hinaus zu schwingen. Dorthin, wo eine bodenlose Tiefe gähnt. Nur der Schock scheucht sie auf und zwingt sie, die ihnen angeborenen Flügel zu gebrauchen. Und siehe da, schon breitet, der sie eben schreckte, seine weiten Schwingen über ihnen aus. Bereit, die flatternden Küken zu beschützen und ihnen im Augenblick der Gefahr zu helfen.

Mit diesem Bild erinnert Mose das Volk an die Augenblicke der Angst auf seiner gefahrvollen Wanderung durch die Wüste. Nein, das waren keine Regiefehler Gottes. Vielmehr Zeichen liebevoller väterlicher Fürsorge. Nur auf diese Weise lernte Israel, seinem Gott in jeder Lage kindlich zu vertrauen.

Und wir? Ergeht es uns nicht ähnlich? Gott hat uns mit der Gabe beschenkt, dass wir vertrauen, glauben können. Ebenso wie den Vogeljungen die Flügel angeboren sind. Wie sie braucht auch der Glaube den Augenblick der Gefahr, um sich zu entfalten, sich zu bewähren. Solange wir im warmen, kuscheligen Nest hocken, besteht dazu kein Anlass. Gott muss uns je und je aufscheuchen wie der Adler seine Jungen. Das gefällt uns dann gar nicht. Wir erschrecken, zweifeln an Gottes Liebe, rebellieren gar. Bis wir die tragende Kraft des Glaubens erfahren, die uns über die Tiefen trägt. Bis wir die starken Hände unseres himmlischen Vaters spüren, die uns festhalten, tragen, niemals fallen lassen. Nur so lernen wir, ihm zu vertrauen. Nicht nur einmal, sondern immer wieder neu. Ich möchte Sie ermuntern, in allem, was Ihnen heute begegnet, die Flügel des Glaubens auszuspannen. Wagen Sie es, dem rückhaltlos zu vertrauen, der Sie unendlich liebt. Denken Sie an den Adler, der seine Jungen aus dem Nest scheucht, damit sie selber fliegen lernen; doch wachsam schwebt er über ihnen, und wenn eins müde wird und fällt, dann breitet er die Flügel unter ihm und fängt es auf und trägt es fort (5. Mose 32, 11 nach „Hoffnung für alle“).
 

Autor/-in: Pastor i. R. Wolfgang Kegel