04.01.2011 / Wort zum Tag

2. Korinther 12,9

Paulus schreibt: Der Herr hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.

2. Korinther 12,9

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Ich erinnere mich gut an einen Gottesdienst vor einiger Zeit. In der Kirche viele vertraute Gesichter. Menschen, für die der Gottesdienst ganz selbstverständlich zum Sonntag dazugehört. In der Predigt ging es um König Salomo. Er ist bekannt für seine Weisheit, seinen Reichtum, seine vielen Frauen. Er hat bei Gott einen Wunsch frei. Er wünscht sich nicht von allem im Leben noch mehr. Er wünscht sich ein gehorsames Herz, das fähig ist, auf Gottes Wort zu hören.

Ich versuchte, der Gemeinde klar zu machen, wie gedankenlos und oberflächlich unsere Wünsche oft sind und wie sich unser Leben verändern würde, wenn unsere erste Sorge ein Herz wäre, das Gott gehorsam ist. Alles andere bekäme dann seinen richtigen Platz.
Ein paar Tage später erfahre ich, welche Verunsicherung meine Predigt hinterlassen hat.
Ich habe Geburtstag. Was wünscht man nun einer Pfarrerin zum Geburtstag, die ein paar Tage vorher in der Predigt deutlich gemacht hat, dass Gesundheit eben nicht die Hauptsache ist?

Eine Gratulantin fand eine gute Lösung. Sie gab mir die Hand und sagte: „Ich wünsche Ihnen dieses gehorsame Herz, aber doch auch noch Gesundheit." Ich fühlte mich in meinem Anliegen verstanden. Gern nahm ich diesen Wunsch entgegen. Seit jener Predigt höre ich aufmerksam, was Menschen einander zum Geburtstag wünschen. Und ich lese meine eigene Geburtstagspost gespannt. Was wünscht man mir wohl außer Gesundheit noch?
Zum Glück ist nicht jede Krankheit eine Katastrophe. Vor allem ist sie ein Angebot.
Ein Angebot, inne zu halten auf dem Weg. Die Grundlagen des Lebens zu hinterfragen und zu überprüfen. Die Beziehungen. Die Ziele und die Perspektiven. Und den Glauben.

Vieles hat sich eingeschliffen. Vieles ist selbstverständlich geworden. Krankheit kann eine Chance sein, neu nachzudenken.
Bei Begegnungen mit älteren Menschen fällt mir auf, dass sich viele Gespräche um die Gesundheit und das körperliche Wohlergehen drehen. Manchmal frage ich, ob nicht Zufriedenheit das Wichtigste ist. Ob man nicht vor allem ein festes Herz braucht, wenn die Knie wankend geworden sind. Ob nicht gute Freunde oder Freude vielleicht ein guter Geburtstagswunsch für einen älteren Menschen sind.

Natürlich finde ich es lieblos, einem schwerkranken Menschen zu sagen, es gibt Wichtigeres als Gesundheit. In seinem Denken kreist alles um die Frage, ob er wieder gesund wird. In dieser Situation kann ich nur sagen: „Was auch geschieht, niemand fällt aus Gottes Hand. In ihm sind Gesunde und Kranke geborgen. Nicht einmal der Tod kann uns aus dieser Hand reißen.“ Das ist die Botschaft für Grenzsituationen des Lebens. Aber sonst - müssen wir da nicht freundlich und konsequent behaupten, dass Gesundheit nicht die Hauptsache ist?

Beispiele, die das belegen, erleben wir täglich. Eine ältere Dame, die seit mehreren Jahren beinamputiert ist, erklärt mir bei jedem Besuch freundlich lächelnd, es ginge ihr gut. Natürlich könne sie nicht gehen, aber es finde sich immer jemand, der den Rollstuhl schiebt. Außerdem seien die Pflegerinnen freundlich und die Familie besuche sie regelmäßig, so dass sie rundum zufrieden sei. Eine andere - viel jüngere - hat Erfolg im Beruf, besitzt eine schöne Wohnung, ist kerngesund. Äußerlich ist alles in bester Ordnung. Aber sie ist doch unzufrieden.

Natürlich will keiner gerne krank sein. Ich will die Krankheit nicht schönreden. Aber mancher hat im Nachhinein gesagt: Ich möchte diese Erfahrung nicht missen. Ich habe mich selber neu wahrgenommen und andere Menschen und auch Gott. 
Gesundheit ist kein Zeichen der besonderen Nähe Gottes - und Krankheit ist kein Zeichen der Abwesenheit Gottes. Ich bin dankbar für meine Gesundheit, aber ich bitte Gott darum, dass sie nie zur Hauptsache in meinem Leben wird, sondern immer der, dem ich sie verdanke.

Und dass ich von Zeit zu Zeit die Lektion lerne, die der Völkerapostel Paulus lernen musste. „Lass dir an der Gnade Gottes genügen, denn seine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“

Autor/-in: Pfarrerin Birgit Winterhoff