12.11.2012 / Wort zum Tag

1. Samuel 16,7

„Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der Herr aber sieht das Herz an.“

1. Samuel 16,7

Ihr Browser unterstützt HTML5 Audio nicht!

Das Augenlicht ist ein großes Geschenk. Mit dem Wunderwerk unserer Augen
nehmen wir unsere Umwelt war. Wir sehen Landschaften und Gebäude, erkennen Farben und Formen. Mit unseren Augen nehmen wir andere  Personen wahr. Wir sehen, was vor Augen ist. Oft lassen wir uns allerdings auch blenden von den äußeren Eindrücken. Oft sehen wir nur das Vordergründige. Die Fassaden fesseln unsere Aufmerksamkeit.

Als ich zu DDR-Zeiten einen Besuch in Ost-Berlin machte, lief ich mit einem Freund durch einen der großen Boulevards. Ich betrachtete interessiert die mehrstöckigen Gebäude am Straßenrand. Mir fiel auf: Erdgeschoss und 1. Stock waren meist in einem guten Zustand. Sie trugen oft frische Farben. Die Stockwerke darüber waren meist unansehnlich grau. Oft wies der Putz große Schäden auf. Ich fragte meinen Bekannten: „Kannst du mir sagen, warum das so ist?“ Er sagte: „ Auf dieser Straße fahren die Staatsbesuche in ihren dunklen Limousinen durch. Wenn sie aus dem Autofenster schauen, sehen sie nur das Erdgeschoss und höchstens noch den ersten Stock. Deshalb hat  man das, was im Blickwinkel ist, gut restauriert. So sollten die Gäste einen guten Eindruck gewinnen.“
Nun ist das keine Erfindung der DDR gewesen. Das gab es schon früher. Das gibt es auch heute. Da wird etwas vorgetäuscht, was nicht der Wirklichkeit entspricht. So wird zum Beispiel im Medienbereich ganz stark mit Kulissen und technischen Tricks gearbeitet. Unsere Augen werden bewusst getäuscht. Eine Wirklichkeit wird vorgetäuscht.
Wir sehen, was vor Augen ist. Wir lassen uns durch Vordergründiges, durch Fassaden blenden und täuschen.
Das gilt für die Welt-Medien. Das gilt für das Showgeschäft. Das gilt oft auch im politischen Geschehen.
Stars werden aufgebaut. An ihrem Image wird gefeilt. Dabei geht es oft gar nicht um die Inhalte. Werbung und Stilberatung geben Bilder vor. Sie fesseln unsere Aufmerksamkeit und unsere Blicke.
Das gilt aber auch für den ganz normalen Alltag. Wir begegnen Menschen, machen uns ein Bild von ihnen und sehen doch oft nur Masken und Fassaden. Oft erlebe ich bei Begegnungen, wie mir als Pfarrer etwas vorgespielt wird. Wie es hinter der Fassade wirklich aussieht, erschließt sich erst nach einem längeren Gespräch. Der Mensch sieht, was vor Augen ist. So ging es auch dem Propheten Samuel. Er sollte den neuen König Israels salben. Er begutachtet in Bethlehem die Söhne des Isai, um den kommenden König zu salben. Samuel sieht die eindrucksvolle Gestalt des Eliab. „Der ist es“, denkt Samuel. Alle sieben Söhne ziehen an Samuel vorbei. Aber keiner ist der Auserwählte Gottes.  Den Jüngsten, den Hirtenjungen David, hat Gott auserwählt. Er ist bräunlich, hat schöne Augen und eine gute Figur. Aber das Aussehen ist nicht Gottes Auswahlkriterium. Bei Gott gelten andere Maßstäbe als in dieser Welt. Er lässt sich nicht vom äußeren Schein blenden. Bei ihm zählt nicht das Äußere, nicht das Outfit. „Gott sieht das Herz an!“ Er schaut hinter die Fassaden. Er kennt die Gedanken, die Gefühle, die Beweggründe und innersten Regungen. Ihm braucht niemand etwas vorzuspielen. Der Vater im Himmel kennt die Seinen. Das ist gut so. Sein liebevoller Blick ruht auf Ihnen und auf mir. Sein Urteil über unser Leben, nicht das Urteil anderer Menschen über uns ist entscheidend. Dieses Wissen macht unabhängig vom Schielen danach, wie uns andere sehen. Es schenkt eine große innere Freiheit. Es will uns aber auch vor vorschnellem Urteilen über andere bewahren. Nicht das Äußere, sondern die innere Einstellung und die inneren Werte sind entscheidend. Wir sollten die Worte von Jesus als Leitlinie haben: Er sagt: „Urteilt nicht nach dem, was vor Augen ist“. der Blick der Liebe geht tiefer. So ist es: „Der Mensch sieht, was vor Augen ist; der Herr aber sieht das Herz an!“

Autor/-in: Dekan Michael Wehrwein