06.05.2012 / Wort zum Tag

1. Petrus 1,6

„Deshalb seid ihr voll Freude, auch wenn ihr jetzt für eine kurze Zeit leiden müsst und auf die verschiedensten Proben gestellt werdet.“

1. Petrus 1,6

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Ist das nicht immer wieder eigenartig? Wir lernen Menschen kennen, die unsägliches Leid durchgemacht haben und trotzdem eine tiefe Freude ausstrahlen? Ich denke an eine Frau, die seit vielen Jahren an Multiplesklerose erkrankt ist. Sie sitzt in ihrem Rollstuhl, ist auf Hilfe von anderen angewiesen, kann viele Dinge nicht mehr selber verrichten – und doch ist sie dankbar und glücklich. Woher nimmt diese Frau ihre Lebenseinstellung? Oder ich denke an eine andere Frau. Mit 17 Jahren hat sie durch einen Unfall ihr rechtes Bein verloren. Seither geht sie mit einer Prothese durchs Leben. Trotzdem hat sie drei eigene Kinder bekommen und sie zusammen mit zwei weiteren gross gezogen. Sie hat ihren Haushalt super organisiert, sie kocht, macht die Wäsche, bügelt, putzt und lädt immer wieder Gäste ein. Klagen habe ich von dieser Frau nie gehört. Als sie voriges Jahr ihre linke Hüfte ersetzen lassen musste, musste sie sechs Monate lang das Bett hüten, zuerst im Krankenhaus und dann im Pflegeheim. Dank den vielen Beziehungen, die sie über all die Jahre gepflegt hatte, bekam sie immer wieder Besuch. Sie lag geduldig in ihrem Bett und strahlte eine tiefe Freude aus, und trotz aller Widerwärtigkeiten auch Dankbarkeit.
Diese Beispiele kommen mir in den Sinn, wenn ich die heutige Bibellese aus dem 1. Petrusbrief 1, 6 lese: „Deshalb seid ihr voll Freude, auch wenn ihr jetzt für eine kurze Zeit leiden müsst und auf die verschiedensten Proben gestellt werdet.“

Hier wird von einer kurzen Zeit gesprochen. Die beiden erwähnten Frauen müssen ein ganzes Leben lang leiden. Ist es nicht zu viel verlangt, in solchen Situationen freudig zu bleiben? Verglichen mit der Ewigkeit, mag ein Leben ja wirklich kurz wirken. Aber wenn man mitten im Leiden steckt, kommt die Freude nicht von selbst. Man muss sich bewusst für die Freude entscheiden. Ja, Sie haben mich richtig verstanden: Wir müssen uns für die Freude entscheiden! Petrus fordert seine Leser zur Freude auf, trotz Leiden und Prüfungen. Die Leiden, von denen Petrus spricht, waren vor allem mit der Verfolgung der ersten Christen verbunden. Petrus versucht, diese verfolgten Christen zur Freude zu ermutigen, in dem er ihnen vor Augen malt, wie kurz das Leben auf dieser Erde angesichts der Ewigkeit ist. Und damit auch, wie kurz die Leidenszeit ist. Später erklärt Petrus, dass diese Leidenszeiten dazu da sind, unser Vertrauen auf Gott zu stärken. Sie seien eine Gelegenheit, uns im Glauben zu bewähren. Eine solche Sicht muss man bewusst annehmen, ja man muss sich dafür entscheiden. Sonst lehnt man sich ständig auf, gegen etwas, das man nicht ändern kann. Wer lernen will, mit Einschränkungen und Widerwärtigkeiten zu leben, muss diese Verse immer wieder verinnerlichen. Die beiden Frauen, von denen ich am Anfang erzählt habe, haben auch ihre schweren und traurigen Zeiten erlebt. Aber sie haben in den verschiedensten Lebenssituationen ganz bewusst buchstabiert, was es heißt, einem Gott zu vertrauen, der es immer gut meint. Das ist das Geheimnis der Freude in allem Leiden. „Deshalb seid ihr voll Freude, auch wenn ihr jetzt für eine kurze Zeit leiden müsst und auf die verschiedensten Proben gestellt werdet.“

 

Autor/-in: Ruth Bai-Pfeifer