21.06.2009 / Wort zum Tag

1. Mose 32,11

HERR, ich bin zu gering aller Barmherzigkeit und aller Treue, die du an deinem Knechte getan hast.

1. Mose 32,11

Ihr Browser unterstützt HTML5 Audio nicht!

Jakob steht vor dem schwersten Augenblick seines Lebens: der Begegnung mit seinem Bruder. Es sind einige Jahre vergangen, seit er vor ihm geflohen ist. Sein Bruder Esau wollte ihn damals töten, weil Jakob ihn mit List um den väterlichen Segen betrogen hatte. Jakob musste in diesen Jahren in der Fremde am eigenen Leib erfahren, was es heißt, betrogen zu werden. Es war für ihn eine harte Schule. Rückblickend sagt er über seinen damaligen Arbeitgeber: „Des Tages kam ich um vor Hitze und des Nachts vor Frost, und kein Schlaf kam in meine Augen. So habe ich diese 20 Jahre in deinem Hause gedient, und du hast mir meinen Lohn zehnmal verändert!“

Doch kaum war er seinem gerissenen Schwiegervater entkommen, stand die Begegnung mit seinem Bruder bevor, daran sollte sich sein Schicksal entscheiden. Jakob schickte Boten aus zu Esau. Als diese zurückkamen und berichteten, Esau komme ihm mit 400 Mann entgegen, fuhr ihm der Schrecken in die Glieder. Er teilte seine Leute auf in zwei Lager und schickte sie voraus, denn er sagte sich: wenn Esau sich über das erste Lager hermacht, kann das zweite fliehen!

Doch dann hielt Jakob inne. Bis dahin könnte man sagen: typisch der alte Jakob. Er wusste sich zu helfen mit List und Plänen. Aber plötzlich wurde ihm bewusst: das alles kann mir nicht helfen. Und da betete er zu Gott. Das fiel diesem cleveren und initiativen Mann nicht leicht. Genau wie es uns heutigen Menschen, gerade uns Männern, oft nicht leicht fällt. Denn dieses Gebet ist wie eine Kapitulation. In Wirklichkeit aber war es eine Sternstunde.

Als Jakob nun so vor Gott steht und sozusagen die Waffen aus der Hand legt, da wird ihm bewusst, was im Wort zum heutigen Tag aufgegriffen wird: „HERR, ich bin zu gering aller Barmherzigkeit und aller Treue, die du an deinem Knecht getan hast; denn ich hatte nicht mehr als diesen Stab, als ich hier über den Jordan ging, und nun sind aus mir zwei Lager geworden.“ Das ist eine erstaunliche Bilanz über die Jahre der Flucht! Die Zeit in der Fremde war zwar eine harte Schule gewesen. Aber nun stellt Jakob fest, dass in dieser Zeit etwas Ungeahntes geschehen ist. Aus den rätselhaften und leidvollen Erfahrungen ist Jakob reicher hervorgegangen. So ist das auch in unserem Leben. Oft sehen wir erst im Nachhinein, was sich in schweren Zeiten zum Guten verändert hat.

Vielleicht hilft das folgende Bild, die Zusammenhänge besser zu verstehen: Ein Mann kann nicht begreifen, warum sein Leben trotz seines Vertrauens auf Gott so rätselhaft und leidvoll verlaufen ist. Eines Tages sieht er einem alten Teppichknüpfer bei der Arbeit zu. Er ist daran, die paar letzten Fäden seines Teppichs zu verknüpfen. Der Zuschauer kann wenig Sinn und Schönheit an diesem Teppich erkennen, denn er sieht den Teppich von der unteren Seite. Als der Teppichknüpfer aber den Teppich umdreht, staunt der Zuschauer: was von unten gesehen rätselhaft und z. T. verworren schien, erscheint von oben gesehen als ein wunderbares Muster. So werden auch wir einmal unser Leben von der anderen Seite aus sehen und darüber staunen. Manchmal entdecken wir schon hier etwas davon, wie Jakob. In solchen Momenten ahnen wir schon jetzt etwas von der Treue und Barmherzigkeit Gottes. Sie werden im Rückblick noch viel größer sein, als wir dies heute ahnen können. Wir werden sehen, was Gott in seiner Barmherzigkeit gerade in schweren Zeiten an uns getan hat und wie er uns gerade da unerwartet und unverdient reich gemacht hat.
Ich weiß nicht, in welcher Situation Sie sich gerade befinden. Aber ich sage Ihnen: es ist noch nicht aller Tage Abend! Geben Sie Ihr Vertrauen in die Führung Gottes nicht auf. Gott wird Ihr Vertrauen nicht enttäuschen.

Autor/-in: Ernst-Gerhard Fitsch