13.11.2012 / Wort zum Tag

1. Korinther 13,12

Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.

1. Korinther 13,12

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Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.
Es gab in der korinthischen Christengemeinde eine ganze Reihe von Streitigkeiten. Sowohl in Fragen der Ethik, wie auch in Lehrfragen gab es unterschiedliche Richtungen, die erfahrungsgemäß ihre Sprecher und Parteigänger haben. Es wurde gestritten um die wahre Tradition, von der man herkomme und bei der man bleiben müsse. Auch die Person des Paulus und der Inhalt seiner Botschaft stehen öffentlich unter Beschuss. Einige halten ihn für inkompetent, eine armselige Figur mit dürftiger Rhetorik. Man streitet sich aber auch über die Frage, ob Christen Fleisch vom Markt essen dürften, das vorher zeremoniell den heidnischen Götzen geweiht worden war. Die richtige Abendmahlsform, die Rolle der Geschlechter in der Gemeinde, die besonderen Geistesgaben und ihre Gewichtung und schließlich sogar die Leugnung der leibhaftigen Auferstehung waren die gemeindlichen Schlachtfelder der Korinther. Es versteht sich von selbst, dass der Apostel Paulus mindestens drei Briefe an diese Gemeinde richten musste, von denen uns zwei erhalten sind. Das Gerangel um Positionen und Meinungen, Macht und Achtung hat die Korinther immer wieder ziemlich aufgemischt. Es bewahrt uns allerdings auch heute vor der Illusion, die Gemeinschaft der Heiligen bedeute immer nur eine Gruppe von Menschen, die ein Herz und eine Seele seien. Das gibt es hoffentlich auch immer wieder. Wenn ernst gemacht wird mit dem gabenorientierten Priestertum aller Gläubigen, dann ist eine  gesunde Vielfalt  normal und geradezu schöpfungsgemäß angelegt. Es gilt dann aber in diesem Fall, gemeinsam um Klärungen zu ringen und Ausgleich herzustellen, wo das nötig ist.
Das hat der Apostel – gerade auch in Korinth - immer wieder angestrebt. Harmlose Meinungsunterschiede in sekundären Fragen können mit unterschiedlichen Antworten gleichberechtigt nebeneinander stehen bleiben, während Paulus bei anderen Fragen, wie zum Beispiel in der Auferstehungsdebatte, zu einer klaren und einseitigen Lehraussage hindrängt.
Er tut das aber nicht mit rechthaberischer Sturheit, sondern sehr wohl in dem Bewusstsein seiner eignen bloß „stückweisen“ Erkenntnis.
Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.
Niemand von uns ist restlos im Bilde – sagt uns der Apostel damit. Keiner von uns ist Gottes Geheimrat und damit letzte Lehrinstanz. Wer das von sich denkt oder behauptet, lebt auf gefährlichem Grund. Natürlich, die grundlegenden Heilstatsachen, die biblische Überlieferung vom Leben und den Reden Jesu, seine Geburt von der Jungfrau Maria, seine Wunder, seine Passion und Auferstehung, wie auch seine Himmelfahrt sind über jeden Zweifel erhaben und nicht verhandelbar. Aber es gibt ohne Frage auch Bereiche, wo wir trotz intensiven und ehrlichen Bibelstudiums nicht alle zu der gleichen Erkenntnis kommen. Und Paulus sagt: das ist ok so. Wir  sehen alle nur stückweise, einen Teil vom Ganzen. Stückwerk ist und bleibt deshalb auch unsere Theologie und Gotteserkenntnis, solange wir auf dieser Erde leben. Deshalb kann es im Letzten nicht die gemeinsame und in allen Punkten 100%ig übereinstimmende Erkenntnis theologischer Sachverhalte sein, die uns als christliche Gemeinde zusammenhält, sondern die Liebe Gottes, die ausgegossen ist in unsere Herzen. Diese Liebe schafft Raum für Offenheit im Umgang miteinander, für konstruktiven Streit und gemeinsames Ringen um die Wahrheit.
 

Autor/-in: Bernhard Heyl