03.12.2011 / Wort zum Tag

1. Johannes 3,18

Lasst uns nicht lieben mit Worten noch mit der Zunge, sondern mit der Tat und mit der Wahrheit.

1. Johannes 3,18

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Die scharfe Mahnung Dietrich Bonhoeffers an die Christen im Nazideutschland bleibt unvergesslich und hat an Aktualität nichts eingebüßt: „Nur wer für die Juden schreit, darf gregorianisch singen!“ Heute singen wir kaum noch gregorianisch, statt dessen singen wir Lobpreislieder und pflegen den Worship! Unsere Liebe zu Gott drücken wir in Wort und Lied aus, unseren Glauben bekennen wir mit der Zunge und den Lippen. Dazu dienen unsere Gottesdienste, Gospelkonzerte und Worshipevents zur Ehre Gottes landauf, landab. Dagegen würde auch Bonhoeffer nichts einwenden, denn gerade er pflegte ein intensives geistliches Leben und liebte eine sinngebende Gottesdienstliturgie!

Aber was ist, wenn wir Gott nur noch ehren? Wenn wir Gott nur noch feiern, wenn wir nur noch für Gott und von Gott reden? Anknüpfend an unserm Bibeltext könnte man – ganz im Sinne des alten und lebenserfahrenen Bischofs Johannes – scharf formulieren: „Was wir Gott getan haben, das haben wir noch nicht Menschen getan!“

Mit dieser Aussage steht Johannes gradlinig in der Tradition der alttestamentlichen Propheten. Sie mussten immer und immer wieder im alten Israel die pseudofromme Selbstbezogenheit bekämpfen. Da wurden zwar wunderbare Gottesdienste zelebriert, aber dabei gingen der arme Bruder, die Witwen und Waisen, die Rechtlosen und Tagelöhner vergessen. Deswegen schrie schon Amos: „Tue weg das Geplärr deiner Lieder, dein Harfenspiel mag Gott nicht mehr hören! Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach! Hasset das Böse und liebet das Gute!“ (Am 5,15.23-24)

Es gehörte zur Tragik vieler Kirchgemeinden, Freikirchen und Gemeinschaften, dass sie in Nazideutschland Gottesdienste feierten, als ob es keine Ungerechtigkeit, keine Verfolgungen, keine Konzentrationslager und keinen Mord an Kranken und Behinderten gegeben hätte. Ähnlich tragisch wäre es auch heute, wenn sich unser Glaube und unsere Frömmigkeit nur in Lobpreis, Worship und in innerchristlicher Unterhaltung erschöpfen würde!
Denn „was wir Gott getan haben, das haben wir noch nicht Menschen getan“! Der christliche Glaube ist mit zwei Flügeln unterwegs: mit der frommen Innerlichkeit und der Nächstenliebe! Mit nur einem Flügel kommt es früher oder später zum Absturz.

Umso dankbarer können wir heute feststellen, dass es den Streit nicht mehr gibt, ob nun Evangelisation oder Sozialdiakonie, Wort oder Tat, Glaube oder Liebe wichtiger seien. Der alte Johannes hätte bei dieser Diskussion wohl nur den Kopf geschüttelt. Er hätte aber zugeben müssen, dass es auch in seinem kleinasiatischen Gemeindebezirk leider viele Christen gab, die sich jeglicher Bruderliebe entzogen und offensichtlich sogar mit Lügen, korrupten Winkelzügen und gehässigen Attacken gegen Mitchristen vorgingen. Und diese Leute haben die Sache sogar noch dadurch auf die Spitze getrieben, dass sie Mitchristen in ihrer Armut darben und hungern liessen. Deshalb fragt Johannes zugespitzt: „Wie kann die Liebe Gottes in einem Christen bleiben, wenn er sein Herz vor seinem notleidenden Mitchristen verschliesst?“

Diese Frage lässt sich bis heute nur schwer beantworten: Warum kann es überhaupt solche fromm verschlossenen Herzen, eine solch fromme Blindheit und Gehässigkeit geben?!

Umso dringlicher will uns das Tageswort aufrütteln und uns an die fatale fromme Lebenslüge erinnern, die das Menschliche vom Geistlichen trennt und abspaltet. Denn nach Johannes „ist es Gottes Gebot, dass wir an den Namen seines Sohnes Jesus Christus glauben und uns untereinander lieben, so wie es Gott geboten hat“ (1. Joh 3,23).

Was ist zu tun?
-  Zunächst will ich dankbar feststellen, wie viel Liebe tagtäglich in unseren Kirchen und Gemeinden verschenkt wird. Und da will ich weiter mit dabei sein!
-  Ebenso beeindruckt mich der Einsatz unzähliger Christen und Christinnen in sozialdiakonischen Einrichtungen, Projekten und Initiativen sowie im Kampf gegen Hunger, Not und Elend, sei es in unserer Gesellschaft hier in Mitteleuropa oder auch in den Brennpunkten unserer krisengeschüttelten Welt! Solche Initiativen will ich nach meinen Möglichkeiten unterstützen!
-  Außerdem ermutigt mich das Tageswort, mich selbst zu prüfen, ob ich in einer ausgewogenen Balance von den beiden Flügeln des Glaubens getragen und bestimmt werde: der inneren Überzeugung und der tätigen Liebe! Wo nötig, will ich Gott erlauben, mein Herz aufzuschließen.
-  Und schließlich will ich mich in meinem unmittelbaren Umfeld von Kirche und Gemeinde dafür einsetzen, dass der Friede, die Bruder- und Schwesterliebe sowie das Zusammenleben gefördert werden. Auch dafür will ich mein Herz öffnen.
-  Vielleicht kann ich sogar einem Christen, dessen Herz noch „verschlossen“ ist, dabei helfen, dass sein frommes Lippenbekenntnis zu einem handfesten Bekenntnis „in Tat und Wahrheit“ wird.

Autor/-in: Pfarrer i. R. Peter W. Henning